Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats. Verstoß gegen die Richtlinie 2006/123/EG sowie gegen die Art. 49 und 56 AEUV. Beschränkungen und Anforderungen in Bezug auf den Ort des Sitzes, die Rechtsform, die Beteiligung am Gesellschaftsvermögen und die multidisziplinären Tätigkeiten von Ziviltechnikergesellschaften, Patentanwaltsgesellschaften und Tierärztegesellschaften
Normenkette
Richtlinie 2006/123/EG; AEUV Art. 49, 56
Beteiligte
Kommission/ Österreich () und vétérinaires) |
Tenor
1. Die Republik Österreich hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 14 Nr. 1, Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. b und c und Abs. 3 sowie Art. 25 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt verstoßen, dass sie Anforderungen an den Ort des Sitzes für Ziviltechnikergesellschaften und Patentanwaltsgesellschaften, Anforderungen an die Rechtsform und die Beteiligung am Gesellschaftsvermögen für Ziviltechnikergesellschaften, Patentanwaltsgesellschaften und Tierärztegesellschaften sowie die Beschränkung multidisziplinärer Tätigkeiten für Ziviltechnikergesellschaften und Patentanwaltsgesellschaften aufrechterhält.
2. Die Republik Österreich trägt neben ihren eigenen Kosten die Kosten der Europäischen Kommission.
3. Die Bundesrepublik Deutschland trägt ihre eigenen Kosten.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 23. März 2018,
Europäische Kommission, vertreten durch G. Braun und H. Tserepa-Lacombe als Bevollmächtigte,
Klägerin,
gegen
Republik Österreich, vertreten durch G. Hesse als Bevollmächtigten,
Beklagte,
unterstützt durch
Bundesrepublik Deutschland, zunächst vertreten durch T. Henze und D. Klebs, dann durch D. Klebs als Bevollmächtigte,
Streithelferin,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras, der Richterin K. Jürimäe sowie der Richter D. Šváby, S. Rodin (Berichterstatter) und N. Piçarra,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission die Feststellung, dass die Republik Österreich dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 14 Nr. 1, Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. b und c und Abs. 3 sowie Art. 25 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. 2006, L 376, S. 36) und aus den Art. 49 und 56 AEUV verstoßen hat, dass sie Anforderungen an den Sitz für Ziviltechnikergesellschaften und Patentanwaltsgesellschaften, Anforderungen an die Rechtsform und die Beteiligung am Gesellschaftsvermögen für Ziviltechnikergesellschaften, Patentanwaltsgesellschaften und Tierärztegesellschaften sowie die Beschränkung multidisziplinärer Tätigkeiten für Ziviltechnikergesellschaften und Patentanwaltsgesellschaften aufrechterhält.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 2
Der neunte Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/123 lautet:
„Diese Richtlinie findet nur auf die Anforderungen für die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit Anwendung. Sie findet somit keine Anwendung auf Anforderungen wie Straßenverkehrsvorschriften, Vorschriften bezüglich der Stadtentwicklung oder Bodennutzung, der Stadtplanung und der Raumordnung, Baunormen sowie verwaltungsrechtliche Sanktionen, die wegen der Nichteinhaltung solcher Vorschriften verhängt werden, die nicht die Dienstleistungstätigkeit als solche regeln oder betreffen, sondern von Dienstleistungserbringern im Zuge der Ausübung ihrer Wirtschaftstätigkeit genauso beachtet werden müssen wie von Privatpersonen.”
Rz. 3
Im 22. Erwägungsgrund dieser Richtlinie wird ausgeführt:
„Der Ausschluss des Gesundheitswesens vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie sollte Gesundheits- und pharmazeutische Dienstleistungen umfassen, die von Angehörigen eines Berufs im Gesundheitswesen gegenüber Patienten erbracht werden, um deren Gesundheitszustand zu beurteilen, zu erhalten oder wiederherzustellen, wenn diese Tätigkeiten in dem Mitgliedstaat, in dem die Dienstleistungen erbracht werden, einem reglementierten Gesundheitsberuf vorbehalten sind.”
Rz. 4
Im 40. Erwägungsgrund der Richtlinie heißt es:
„Der Begriff der zwingenden Gründe des Allgemeininteresses, auf den sich einige Bestimmungen dieser Richtlinie beziehen, ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofes zu den Artikeln 43 und 49 [EG] entwickelt worden und kann sich noch weiterentwickeln. Der Begriff umfasst entsprechend der Auslegung des Gerichtshofes zumindest folgende Gründe: … öffentliche Gesundheit … Schutz von Dienstleistungsempfängern …”
Rz. 5
Art. 2 Abs. 2 Buchst. f und l der Richtlinie 2006/123 bestimmt:
„Diese Richtlinie findet auf folgende Tätigkeiten keine Anwendung:
…
f) Gesundheitsdienstle...