Entscheidungsstichwort (Thema)
Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Vorlage zur Vorabentscheidung. Erbrechtliche Maßnahmen. Erklärung der Ausschlagung einer Erbschaft durch einen Erben vor dem Gericht des Mitgliedstaats seines gewöhnlichen Aufenthalts. Spätere Eintragung dieser Erklärung im Register eines anderen Mitgliedstaats auf Antrag eines anderen Erben
Normenkette
Verordnung (EU) Nr. 650/2012 Art. 13
Beteiligte
М. Ya. M. (Renonciation à la succession d’un cohéritier) |
Tenor
Art. 13 der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses
ist dahin auszulegen, dass
er nicht dem entgegensteht, dass, wenn ein Erbe bei einem Gericht des Mitgliedstaats seines gewöhnlichen Aufenthalts eine Erklärung über die Annahme oder die Ausschlagung der Erbschaft eines Erblassers, der im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat hatte, hat eintragen lassen, ein anderer Erbe später die Eintragung dieser Erklärung bei dem zuständigen Gericht des letztgenannten Mitgliedstaats beantragt.
Tatbestand
In der Rechtssache C-651/21
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sofiyski rayonen sad (Rayongericht Sofia, Bulgarien) mit Entscheidung vom 25. Oktober 2021, beim Gerichtshof eingegangen am selben Tag, in dem Verfahren
М. Ya. M.
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)
unter Mitwirkung des Richters M. Ilešič (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Kammerpräsidenten sowie der Richter I. Jarukaitis und Z. Csehi,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Wils und I. Zaloguin als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. November 2022
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 13 der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (ABl. 2012, L 201, S. 107).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines von M. Ya. M. in seiner Eigenschaft als Erbe eingeleiteten Verfahrens wegen eines Antrags auf Eintragung einer Erklärung über die Ausschlagung einer Erbschaft, die ein anderer Erbe vor einem Gericht des Mitgliedstaats seines gewöhnlichen Aufenthalts abgegeben hat, in das Register eines anderen Mitgliedstaats.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 7, 23, 32 und 67 der Verordnung Nr. 650/2012 heißt es:
„(7) Die Hindernisse für den freien Verkehr von Personen, denen die Durchsetzung ihrer Rechte im Zusammenhang mit einem Erbfall mit grenzüberschreitendem Bezug derzeit noch Schwierigkeiten bereitet, sollten ausgeräumt werden, um das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu erleichtern. In einem europäischen Rechtsraum muss es den Bürgern möglich sein, ihren Nachlass im Voraus zu regeln. Die Rechte der Erben und Vermächtnisnehmer sowie der anderen Personen, die dem Erblasser nahestehen, und der Nachlassgläubiger müssen effektiv gewahrt werden.
…
(23) In Anbetracht der zunehmenden Mobilität der Bürger sollte die Verordnung zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Rechtspflege in der [Europäischen] Union und einer wirklichen Verbindung zwischen dem Nachlass und dem Mitgliedstaat, in dem die Erbsache abgewickelt wird, als allgemeinen Anknüpfungspunkt zum Zwecke der Bestimmung der Zuständigkeit und des anzuwendenden Rechts den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers im Zeitpunkt des Todes vorsehen. …
…
(32) Im Interesse der Erben und Vermächtnisnehmer, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen als dem Mitgliedstaat haben, in dem der Nachlass abgewickelt wird oder werden soll, sollte diese Verordnung es jeder Person, die nach dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht dazu berechtigt ist, ermöglichen, Erklärungen über die Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft, eines Vermächtnisses oder eines Pflichtteils oder zur Begrenzung ihrer Haftung für die Nachlassverbindlichkeiten vor den Gerichten des Mitgliedstaats ihres gewöhnlichen Aufenthalts in der Form abzugeben, die nach dem Recht dieses Mitgliedstaats vorgesehen ist. Dies sollte nicht ausschließen, dass derartige Erklärungen vor anderen Behörden dieses Mitgliedstaats, die nach nationalem Recht für die Entgegennahme von Erklärungen zuständig sind, abgegeben werden. Die Personen, die von der Möglichkeit Gebrauch machen möchten, Erklärungen im Mitgliedstaat ihres gewöhnlichen Auf...