Entscheidungsstichwort (Thema)
Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen. Prüfung der Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel durch das nationale Gericht von Amts wegen. Aus der Feststellung der Missbräuchlichkeit der Klausel vom nationalen Gericht zu ziehende Konsequenzen
Normenkette
Richtlinie 93/13/EWG
Beteiligte
Aegon Magyarország Hitel Zrt |
Tenor
1. Die Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass ein nationales Gericht, das als Rechtsmittelgericht mit einem Rechtsstreit über die Gültigkeit von Klauseln in einem zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher auf der Grundlage eines vom Gewerbetreibenden vorformulierten Formulars geschlossenen Vertrag befasst ist, im Fall, dass es nach innerstaatlichem Prozessrecht befugt ist, alle Nichtigkeitsgründe, die sich klar aus den im ersten Rechtszug vorgebrachten Umständen ergeben, zu prüfen und gegebenenfalls die Rechtsgrundlage, die für die Ungültigkeit dieser Klauseln geltend gemacht wurde, entsprechend den festgestellten Tatsachen umzuqualifizieren, von Amts wegen oder unter Umqualifizierung der Rechtsgrundlage des Antrags die Missbräuchlichkeit dieser Klauseln anhand der Kriterien dieser Richtlinie prüfen muss.
2. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 ist dahin auszulegen, dass das nationale Gericht, das die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel feststellt, zum einen – ohne einen entsprechenden Antrag des Verbrauchers abwarten zu müssen – alle Konsequenzen ziehen muss, die sich nach nationalem Recht aus dieser Feststellung ergeben, um sicher sein zu können, dass diese Klausel für den Verbraucher unverbindlich ist, und zum anderen – grundsätzlich anhand objektiver Kriterien – prüfen muss, ob der betreffende Vertrag ohne diese Klausel bestehen kann.
3. Die Richtlinie 93/13 ist dahin auszulegen, dass das nationale Gericht, das von Amts wegen die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel festgestellt hat, das innerstaatliche Prozessrecht nach Möglichkeit so anzuwenden hat, dass alle Konsequenzen gezogen werden, die sich nach nationalem Recht aus der Feststellung der Missbräuchlichkeit der fraglichen Klausel ergeben, damit es sicher sein kann, dass diese Klausel für den Verbraucher unverbindlich ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Fővárosi Bíróság (Ungarn) mit Entscheidung vom 12. Juli 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 27. Juli 2011, in dem Verfahren
Erika Jőrös
gegen
Aegon Magyarország Hitel Zrt
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter M. Ilešič, E. Levits und M. Safjan sowie der Richterin M. Berger (Berichterstatterin),
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der ungarischen Regierung, vertreten durch K. Szíjjártó und Z. Fehér als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch A. Rubio González als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Owsiany-Hornung, M. van Beek und V. Kreuschitz als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. L 95, S. 29), insbesondere von Art. 6 Abs. 1.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Jőrös und der Aegon Magyarország Hitel Zrt (im Folgenden: Aegon) über Beträge, die aufgrund eines zwischen den Parteien geschlossenen Darlehensvertrags geschuldet werden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 ist eine missbräuchliche Vertragsklausel wie folgt definiert:
„Eine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, ist als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht.”
Rz. 4
Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:
„Die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel wird unbeschadet des Artikels 7 unter Berücksichtigung der Art der Güter oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrages sind, aller den Vertragsabschluss begleitenden Umstände sowie aller anderen Klauseln desselben Vertrages oder eines anderen Vertrages, von dem die Klausel abhängt, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses beurteilt.”
Rz. 5
Art. 5 dieser Richtlinie sieht vor:
„Sind alle dem Verbraucher in Verträgen unterbreiteten Klauseln oder einige dieser Klauseln schriftlich niedergelegt, so müssen sie stets klar und verständlich abgefasst sein. …”
Rz. 6
Bezüglich der Wirkungen, die mit der Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Klausel verbunden sind, bestimmt...