Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsmittel. Staatliche Beihilfen. Finanzmaßnahmen zugunsten von France Télécom. Angebot eines Aktionärsvorschusses. Öffentliche Erklärungen von Vertretern des französischen Staates. Entscheidung, mit der die Beihilfe für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt wird. Begriff ‚Beihilfe’. Begriff ‚wirtschaftlicher Vorteil’. Kriterium des umsichtigen privaten Kapitalgebers. Begründungspflicht des Gerichts. Grenzen der gerichtlichen Kontrolle. Verfälschung der streitigen Entscheidung

 

Beteiligte

Kommission / Frankreich und Orange

Französische Republik

Orange

Europäische Kommission

 

Tenor

1. Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2. Die Europäische Kommission trägt die Kosten.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 14. September 2015,

Europäische Kommission, vertreten durch C. Giolito, B. Stromsky, D. Grespan und T. Rusche als Bevollmächtigte,

Rechtsmittelführerin,

andere Parteien des Verfahrens:

Französische Republik, vertreten durch G. de Bergues, D. Colas und J. Bousin als Bevollmächtigte,

Klägerin in der Rechtssache T-425/04 RENV,

Orange, ehemals France Télécom, mit Sitz in Paris (Frankreich), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte S. Hautbourg und S. Cochard-Quesson,

Klägerin in der Rechtssache T-444/04 RENV,

Bundesrepublik Deutschland,

Streithelferin in der Rechtssache T-425/04 RENV,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter J.-C. Bonichot und A. Arabadjiev (Berichterstatter),

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Mit ihrem Rechtsmittel begehrt die Europäische Kommission die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 2. Juli 2015, Frankreich und Orange/Kommission (T-425/04 RENV und T-444/04 RENV, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2015:450), mit dem das Gericht Art. 1 der Entscheidung 2006/621/EG der Kommission vom 2. August 2004 über die staatliche Beihilfe, die Frankreich zugunsten von France Télécom gewährt hat (ABl. 2006, L 257, S. 11, im Folgenden: streitige Entscheidung), für nichtig erklärt hat.

Vorgeschichte des Rechtsstreits

Rz. 2

Die Vorgeschichte des Rechtsstreits ist in den Rn. 1 bis 98 des angefochtenen Urteils zusammengefasst. Folgende Gesichtspunkte sind für die Prüfung des vorliegenden Rechtsmittels erheblich:

Allgemeiner Kontext der Rechtssache

Rz. 3

France Télécom, jetzt Orange (im Folgenden: FT), Betreiber und Anbieter von Telekommunikationsnetzen und -diensten, wurde 1991 als öffentliches Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit gegründet und ist seit dem 31. Dezember 1996 eine Aktiengesellschaft. Seit Oktober 1997 ist FT an der Börse notiert. Im Jahr 2002 war der französische Staat mit 56,45 % am Kapital von FT beteiligt, der Rest der Anteile verteilte sich auf Privatanleger (32,25 %), eigene Aktien (8,26 %) und Belegschaftsaktien (3,04 %).

Rz. 4

Im ersten Quartal des Jahres 2002 veröffentlichte FT ihren Abschluss für das Jahr 2001. Dieser wies 63,5 Mrd. Euro Nettoschulden und 8,3 Mrd. Euro Verlust aus.

Rz. 5

In der Zeit von März bis Juni 2002 stuften die Ratingagenturen Moody's und Standard & Poor's (im Folgenden: S & P) das Rating von FT herab und setzten den Kreditausblick auf negativ. Insbesondere setzte Moody's am 24. Juni 2002 das kurz- und langfristige Kreditrating von FT auf den untersten Rang einer sicheren Investition herab. Gleichzeitig fiel der Kurs der Aktien von FT erheblich.

Rz. 6

Zur Finanzlage von FT erklärte der französische Minister für Wirtschaft, Finanzen und Industrie (im Folgenden: Wirtschaftsminister) in einem in der Tageszeitung Les Echos vom 12. Juli 2002 veröffentlichten Interview (im Folgenden: Erklärung vom 12. Juli 2002):

„Wir halten mit 55 % die Mehrheit der Anteile … Der Staat in seiner Eigenschaft als Aktionär wird sich als marktwirtschaftlich handelnder Kapitalgeber verhalten, und wenn [FT] in Schwierigkeiten geraten sollte, werden wir angemessene Maßnahmen ergreifen … Ich wiederhole: Sollte [FT] Finanzprobleme haben, was gegenwärtig nicht der Fall ist, wird der Staat die für ihre Überwindung erforderlichen Entscheidungen treffen. Sie leisten hier wieder dem Gerücht einer Kapitalerhöhung Vorschub … Nein, bestimmt nicht! Ich bekräftige nur noch einmal, dass wir zu gegebener Zeit die geeigneten Maßnahmen treffen werden. Falls es notwendig ist …”

Rz. 7

Am selben Tag veröffentliche S & P eine Pressemitteilung mit folgendem Wortlaut:

„FT könnte gewisse Schwierigkeiten bei der Refinanzierung seiner 2003 fälligen Finanzschulden haben. Die Hinweise des [französischen] Staates stützen jedoch die Bewertung der Kreditqualität von FT mit [sicherer Investition]. … Der französische Staat, der 55 % von [FT] hält, hat gegenüber [S & P] deutlich erklärt, er werde ...

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