Julia Roglmeier, Nina Lenz-Brendel
7.4.1 Öffentliche Urkunden
Eine "öffentliche Urkunde" ist nach der Begriffsbestimmung gemäß Art. 3 Abs. 1i EuErbVO ein Schriftstück in Erbsachen, das als öffentliche Urkunde in einem Mitgliedstaat förmlich errichtet oder eingetragen worden ist und dessen Beweiskraft sich auf die Unterschrift und den Inhalt der öffentlichen Urkunde bezieht und durch eine Behörde oder eine andere vom Ursprungsmitgliedstaat hierzu ermächtigte Stelle festgestellt worden ist.
Nach Art. 59 Abs. 1 EuErbVO hat eine in einem Mitgliedstaat errichtete öffentliche Urkunde in einem anderen Mitgliedstaat die gleiche formelle Beweiskraft (verfahrensrechtliche Beweiswirkung) wie im Ursprungsmitgliedstaat oder die damit am ehesten vergleichbare Wirkung, sofern dies der öffentlichen Ordnung (ordre public) des betreffenden Mitgliedstaats nicht offensichtlich widersprechen würde.
Gemäß Art. 74 EuErbVO bedarf es für die Annahme von Urkunden, die in einem Mitgliedstaat ausgestellt werden, weder der Legalisation noch einer ähnlichen Förmlichkeit, daher auch keiner Apostille.
7.4.2 Einwendungen gegen eine öffentliche Urkunde
Einwendungen bezüglich der Authentizität einer öffentlichen Urkunde sind bei den Gerichten des Ursprungsmitgliedstaats (nicht des Annahmestaats) zu erheben, Art. 59 Abs. 2 EuErbVO. Die "Authentizität" betrifft Aspekte wie die Echtheit der Urkunde, die Formerfordernisse für die Urkunde, die Befugnisse der Behörde, die die Urkunde errichtet und das Verfahren, nach dem die Urkunde errichtet wird. Der Begriff soll ferner die von der betreffenden Behörde in der öffentlichen Urkunde beurkundeten Vorgänge erfassen, wie z. B. die Tatsache, dass die genannten Parteien an dem genannten Tag vor dieser Behörde erschienen sind.
Einwendungen bezüglich der in einer öffentlichen Urkunde beurkundeten Rechtsgeschäfte oder Rechtsverhältnisse, also deren materiell-rechtliche Inhalte, sind bei den nach der Verordnung zuständigen Gerichten zu erheben, Art. 59 Abs. 3 EuErbVO. Anwendbar im Rahmen der Einwendungen ist das auf die Erfolge anwendbare Recht, nicht etwa das Recht des Ursprungsmitgliedstaats der Urkunde.
Es kann sich bei Einwänden i. S. d. Art. 59 Abs. 3 EuErbVO etwa um eine Vereinbarung zwischen den Parteien über die Verteilung des Nachlasses, um ein Testament oder einen Erbvertrag oder um eine sonstige Willenserklärung handeln. Bei dem Rechtsverhältnis kann es sich etwa um die Bestimmung der Erben und sonstiger Berechtigter nach dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht, ihre jeweiligen Anteile und das Bestehen eines Pflichtteils oder um jedes andere Element, das nach dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht bestimmt wurde, handeln.
Hemmung der Beweiskraftwirkung
Werden Einwendungen bezüglich der Authentizität einer öffentlichen Urkunde oder der in einer öffentlichen Urkunde beurkundeten Rechtsgeschäfte oder Rechtsverhältnisse erhoben, hemmt dies die Beweiskraftwirkung in einem anderen Mitgliedstaat, solange die Sache bei dem zuständigen Gericht anhängig ist.
7.4.3 Gerichtliche Vergleiche
Ein "gerichtlicher Vergleich" ist nach der Begriffsbestimmung gemäß Art. 3 Abs. 1h EuErbVO ein von einem Gericht gebilligter oder vor einem Gericht im Laufe eines Verfahrens geschlossener Vergleich in einer Erbsache.
Gerichtliche Vergleiche, die im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar sind, werden gemäß Art. 61 EuErbVO in einem anderen Mitgliedstaat auf Antrag eines Berechtigten nach den für die Vollstreckbarkeit von Entscheidungen und öffentlichen Urkunden geltenden Regelungen der Art. 45–58 EuErbVO für vollstreckbar erklärt.