Julia Roglmeier, Nina Lenz-Brendel
Zusammenfassung
Grenzüberschreitende Erbabwicklungen innerhalb der Europäischen Union sind inzwischen keine Seltenheit mehr. Das Europäische Parlament hat darauf mit der Europäischen Erbrechtsverordnung reagiert, die seit dem 17.8.2015 anzuwenden ist.
1 Einführung, Inkrafttreten und Anwendbarkeit
Grenzüberschreitende Erbabwicklungen innerhalb der Europäischen Union sind inzwischen keine Seltenheit mehr. Das belegen die folgenden Zahlen: Nach Schätzungen sind hiervon mittlerweile ca. 10 % aller Erbschaften betroffen, was in etwa 450.000 Fällen entspricht. Das jährliche Gesamtvolumen der so abzuwickelnden Nachlässe wird auf etwa 120 Milliarden Euro geschätzt. Das Europäische Parlament hat auf die vorbenannte Entwicklung mit der Europäischen Erbrechtsverordnung – Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (EuErbVO) – reagiert.
Die Verordnung wurde am 13.3.2012 vom Europäischen Parlament und am 7.6.2012 vom Rat angenommen und im Amtsblatt vom 27.7.2012 veröffentlicht. Sie findet grundsätzlich auf alle Erbfälle ab dem 17.8.2015 Anwendung.
2 Aktuelle Rechtslage
Bei juristischen Sachverhalten mit Auslandsbezug ist zunächst stets zu prüfen, welche Rechtsordnung anwendbar ist. Das deutsche internationale Privatrecht ist geregelt in Art. 3 ff. EGBGB.
2.1 Rechtslage nach dem EGBGB
Nach der Grundnorm des Art. 3 EGBGB ist dabei in folgender Reihenfolge vorzugehen:
Überblick Prüfungsreihenfolge und Rangordnung des Art. 3 EGBGB
Bei den wichtigsten völkerrechtlichen Verträgen, die im Rahmen von Art. 3 EGBGB zu beachten sind und nationalem Recht vorgehen, handelt es sich vornehmlich um:
Die wichtigsten Staatsverträge
- Haager Übereinkommen über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht vom 05.10.1961,
- Deutsch-Iranisches Niederlassungsabkommen,
- Deutsch-Türkischer Konsularvertrag,
- Deutsch-Sowjetischer Konsularvertrag.
Sind nach Art. 3 EGBGB keine völkerrechtlichen Verträge oder EU-Recht (Verordnungen) vorrangig anwendbar, kommt nationales Kollisionsrecht zur Anwendung.
Unanwendbarkeit einer ausländischen Norm trotz Vorrang
Sofern eine Rechtsnorm eines anderen Staates mit wesentlichen Grundsätzen (insbesondere mit den Grundrechten) unvereinbar ist, ist sie trotz Vorrang nicht anzuwenden, Art. 6 EGBGB.
Steht fest, dass der konkrete juristische Sachverhalt zwei Rechtsordnungen betrifft, muss das anwendbare Recht bestimmt werden. Hierbei ist zweistufig vorzugehen: zunächst wird die Kollisionsnorm und der Anknüpfungsgegenstand (z. B. "Rechtsnachfolge von Todes wegen") bestimmt und sodann der Anknüpfungsmoment des anzuwendenden Rechts festgelegt.
Anknüpfungsmomente im Erbrecht können vornehmlich sein:
Die Anknüpfungsmomente im Erbrecht
- Staatsangehörigkeit,
- Wohnsitz,
- Aufenthaltsort,
- Belegenheitsort.
Nach erfolgreicher rechtlicher Qualifikation und Subsumption des konkreten Sachverhalts unter die Kollisionsnorm, bestimmt diese nach Vorgabe des Anknüpfungsmoments die anwendbaren Rechtsnormen als Rechtsnachfolge. Maßgeblich kann entweder die eigene oder die fremde Rechtsordnung sein oder aber es kann eine Rechtswahl eröffnet sein.
Anknüpfungsgegenstand "Rechtsnachfolge von Todes wegen" – Anknüpfungsmomente "Belegenheitsort" und "Aufenthaltsort"
Ein amerikanischer Staatsangehöriger lebt seit vielen Jahren in München, wo er auch ohne ein Testament errichtet zu haben, verstirbt. Er besitzt Bankvermögen in Deutschland und ein Feriendomizil in Florida.
Frage: Welche Rechtsnormen sind anzuwenden?
Anknüpfungsgegenstand ist die Rechtsnachfolge von Todes wegen. Die EuErbVO gilt aus Sicht der Mitgliedstaaten zunächst nicht nur für innerstaatliche Erbfälle, sondern weltweit, vgl. Art. 20 EuErbVO. Nach Art. 25 EGBGB i. V. m. Art. 21 Abs. 1 EuErbVO greift infolge des letzten gewöhnlichen Aufenhaltsorts des Erblassers in Deutschland für die Erbfolge daher grds. deutsches Recht. Das Recht des Bundesstaats Florida schreibt jedoch für unbewegliches Vermögen die Anwendung des Rechts am Belegenheitsort ("lex rei sitae") vor. Es kommt zu einer Situation des sog. Forumshopping: Die von Todes wegen Begünstigten werden ihre Rechte vor den Gerichten desjenigen S...