Ralph Gübner, Dr. Axel Deutscher
Rdn 1507
Literaturhinweise:
S. die Hinw. bei → Fahrverbot, Allgemeines, Rdn 1493.
Rdn 1508
1. Im Grundsatz gelten für das schriftliche Urteil in Fahrverbotsfällen die allgemeinen Anforderungen an bußgeldrechtliche Urteile (→ Urteil, Allgemeine Feststellungen, Rdn 3739; zuletzt OLG Oldenburg, Beschl. v. 9.11.2023 – 2 ORBs 188/23). Darüber hinaus gilt:
Rdn 1509
a) Keine Besonderheiten weist das Urteil auf, wenn es um Nichtregelfälle der groben oder beharrlichen Pflichtverletzung nach § 25 Abs. 1 StVG geht. Bei Anordnung eines solchen Fahrverbots ist eine Darstellung nebst Beweiswürdigung aller Umstände erforderlich, welche die Pflichtverletzung ausmachen sollen. Gleiches gilt mangels Eingreifens einer Vermutungswirkung für die Begründung der Erforderlichkeit und Angemessenheit des Fahrverbots. Falls ein naheliegendes Fahrverbot nicht angeordnet wird, bedarf es einer Darstellung zumindest desjenigen Grundes, aus dem keine Anordnung erfolgt.
Rdn 1510
b) Abweichende Anforderungen an das Urteil gelten indes im Bereich der Regelfahrverbote. Aus dem Zusammenwirken von tatbestandsbezogener Vermutungswirkung und rechtsfolgenbezogener Regelwirkung folgt, dass bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzung der Regelbeispiele für grobe bzw. beharrliche Pflichtverletzungen in § 4 Abs. 1 und 2 BKatV oder des gesetzlichen Regelfalls in § 25 Abs. 1 S. 2 StVG die Anordnung eines Fahrverbots die Regel ist, die Nichtanordnung hingegen die Ausnahme. Durch die Einführung der Regelfälle sollte zwar nicht die Pflicht zur Prüfung des Einzelfalls ausgeschlossen, aber der Begründungsaufwand eingeschränkt werden, um die Anordnung eines Fahrverbots bei besonders schwerwiegenden Verkehrsverstößen zu erleichtern (Einzelh. und Nachw. → Fahrverbot, Rechtsgrundlagen, Rdn 1719). Angesichts dieses vorgegebenen Regel-Ausnahme-Verhältnisses ist bei den Anforderungen an die Urteilsgründe in Regelfällen zu unterscheiden, ob ein Fahrverbot angeordnet wurde (vgl. Rdn 1511) oder nicht (vgl. Rdn 1521) (zu Grundlagen zur gerichtlichen Aufklärungs- und Darstellungspflicht Deutscher NZV 1997, 28 ff.).
☆ Die Kenntnis dieser Anforderungen ist für den Verteidiger in zweifacher Hinsicht von besonderer Bedeutung . Zum einen wird hierdurch nochmals klargemacht, welche Tatsachen der Verteidiger dem Tatrichter möglichst frühzeitig – ggf. verbunden mit entsprechenden Beweisanträgen – vortragen muss, um ihn zu zwingen, sich mit diesen Umständen entgegen der Regelwirkungen durch Aufklärung in der HV und Abhandlung im Urteil zu befassen. Zum anderen ermöglicht es diese Kenntnis, das tatrichterliche Urteil bei Anordnung eines Fahrverbots auf Fehler zu prüfen, die im Rahmen der Sachrüge beim OLG geltend gemacht werden können. Im Fall des Wegfalls des Fahrverbots kann eine eventuelle Rechtsbeschwerde der StA hiergegen auf ihre Erfolgsaussicht überprüft werden.Kenntnis dieser Anforderungen ist für den Verteidiger in zweifacher Hinsicht von besonderer Bedeutung. Zum einen wird hierdurch nochmals klargemacht, welche Tatsachen der Verteidiger dem Tatrichter möglichst frühzeitig – ggf. verbunden mit entsprechenden Beweisanträgen – vortragen muss, um ihn zu zwingen, sich mit diesen Umständen entgegen der Regelwirkungen durch Aufklärung in der HV und Abhandlung im Urteil zu befassen. Zum anderen ermöglicht es diese Kenntnis, das tatrichterliche Urteil bei Anordnung eines Fahrverbots auf Fehler zu prüfen, die im Rahmen der Sachrüge beim OLG geltend gemacht werden können. Im Fall des Wegfalls des Fahrverbots kann eine eventuelle Rechtsbeschwerde der StA hiergegen auf ihre Erfolgsaussicht überprüft werden.
Rdn 1511
2.a) Bei Anordnung des Fahrverbots entspricht der Tatrichter der sich aus dem Regelbeispiel ergebenden Vorgabe. Das bedeutet allerdings nicht, dass jedwede weitere Begründung des Fahrverbots entbehrlich ist. Selbstverständlich sind alle für den Verstoß als solchen und für die Tatbestandsmerkmale des Regelbeispiels maßgeblichen Umstände festzustellen und der jeweils erforderlichen Beweiswürdigung zu unterziehen (vgl. z.B. OLG Schleswig SchlHA 2007, 316 [Dö/Dr]). Bei einem Fahrverbot wegen beharrlicher Pflichtwidrigkeit sind erforderlich: genaue Angaben zu den Vortaten, insbesondere die Zeitpunkte der Taten, die genaue Art der Verstöße einschließlich der Höhe von relevanten früheren Geschwindigkeitsüberschreitungen (OLG Bamberg DAR 2015, 592; OLG Koblenz NZV 2013, 202 = DAR 2013, 217), der Umfang der Ahndung sowie die Daten des Rechtskrafteintritts (BayObLG, Beschl. v. 13.12.2022 – 202 ObOWi 1458/22, NStZ-RR 2023, 88 = zfs 2023, 287 = NZV 2023, 282 [Will]; OLG Bamberg NZV 2007, 534 m. Anm. Heinrich; OLG Zweibrücken DAR 2014, 42 m. Anm. Gutt = VRR 2014, 192), außerdem beim Grundtatbestand der Zeitpunkt der Kenntnisnahme des Betroffenen von der Ahndung der Vortat, etwa durch Zustellung des Bußgeldbescheids (OLG Hamm VRR 2006, 392). Zudem bedarf es einer argumentativ nachvollziehbaren tatrichterlichen Begründung des erforderlichen inneren Zusammenhangs zwischen den Vortaten ...