Das Wichtigste in Kürze:

1. Die subjektive Komponente der Indizwirkung eines Regelbeispiels kann im Einzelfall widerlegt werden.
2. Geschwindigkeitsbeschränkungen drängen sich auf bei mehrfacher Aufstellung des Verkehrsschildes, Einrichtung eines Geschwindigkeitstrichters oder innerhalb geschlossener Ortschaften durch eine entsprechende Bebauung.
3. Bei qualifizierten Rotlichtverstößen kommt ein Augenblicksversagen beim sog. Mitzieheffekt oder in Frühstarter-Fällen in Betracht, nur ausnahmsweise bei völligem Übersehen der LZA.
4. Die Grundsätze des Augenblicksversagens sind auch anwendbar beim Regelfall der beharrlichen Pflichtverletzung und bei Nichtregelfällen, nicht aber bei der Trunkenheits- oder Drogenfahrt und überwiegend nicht bei den übrigen Regelfällen für grobe Pflichtverstöße.
 

Rdn 1528

 

Literaturhinweise:

Burhoff, Kein Fahrverbot bei "Augenblicksversagen", VA 2001, 169

ders., Neue(re) Rechtsprechung zum Fahrverbot: Augenblicksversagen und Prozessuales, VA 2017, 145

Fromm, Fahrverbot contra Augenblicksversagen – Zur Annahme einer groben oder beharrlichen Pflichtverletzung gem. § 25 Abs. 1 StVG am Beispiel von innerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitungen, VRR 2010, 410

Krumm, Augenblicksversagen bei Geschwindigkeitsverstößen im Bereich des Beginns einer Geschwindigkeitsbegrenzung, VRR 2005, 126

ders., Arbeitshilfe – Fahrverbot nach Geschwindigkeitsverstoß trotz Augenblicksversagens?, NZV 2013, 428

Scheffler, Regelfahrverbot bei Augenblicksversagen, DAR 1998, 157

s. auch die Hinw. bei → Fahrverbot, Allgemeines, Rdn 1493.

 

Rdn 1529

1.a) Der heutige Massenverkehr stellt hohe Anforderungen an die Konzentration und Aufmerksamkeit von Kfz-Führern. Selbst ein grds. sorgfältiger und rechtstreuer Autofahrer kann Verkehrsverstöße aufgrund momentaner Fehlentscheidungen nicht immer vermeiden. Solche Fehleinschätzungen können ihre Ursache insbesondere im Übersehen oder Verwechseln von Verkehrszeichen oder LZA haben, ohne dass der Verstoß in jedem Fall auf grober Nachlässigkeit, grobem Leichtsinn, Gleichgültigkeit oder mangelnder Rechtstreue beruhen muss.

 

Rdn 1530

b) Die subjektive Komponente der Indizwirkung für das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung gem. § 25 Abs. 1 StVG bei Verwirklichung eines Regelbeispiels nach § 4 Abs. 1 BKatV kann im Einzelfall widerlegt werden (→ Fahrverbot, Rechtsgrundlagen; Rdn 1719; → Fahrverbot, Geschwindigkeitsüberschreitungen; Rdn 1663; → Fahrverbot, qualifizierter Rotlichtverstoß, Rdn 1694). Dementsprechend haben die OLG schon bald nach dem Inkrafttreten der BKatV in Einzelfällen anerkannt, dass das Fahrverbot entfallen kann, wenn der Verstoß auf einem bloß momentanen, also leicht fahrlässigen Übersehen oder Verwechseln von Verkehrszeichen oder LZA beruht (sog. Augenblicksversagen).

 

☆ Der Verteidiger muss beachten, dass im Fall des Eingreifens der Grundsätze des Augenblicksversagens schon der Tatbestand der groben Pflichtverletzung nicht erfüllt ist. Ein auf der Rechtsfolgenseite angesiedeltes Absehen vom Fahrverbot nach § 4 Abs. 4 BKatV unter Anhebung der Geldbuße ist hiernach ausgeschlossen (OLG Hamm NZV 1998, 334 = DAR 1998, 323; OLG Naumburg zfs 2016, 594 m. Anm. Krenberger ; OLG Bamberg StraFo 2016, 116 = VRR 4/2016, 13; Fromm VRR 2010, 411; unrichtig daher AG Waiblingen zfs 2005, 365). Zur Auswirkung des Augenblicksversagens auf die Höhe der Geldbuße näher → Fahrverbot, Rechtsgrundlagen , Rdn 1738 .Tatbestand der groben Pflichtverletzung nicht erfüllt ist. Ein auf der Rechtsfolgenseite angesiedeltes Absehen vom Fahrverbot nach § 4 Abs. 4 BKatV unter Anhebung der Geldbuße ist hiernach ausgeschlossen (OLG Hamm NZV 1998, 334 = DAR 1998, 323; OLG Naumburg zfs 2016, 594 m. Anm. Krenberger; OLG Bamberg StraFo 2016, 116 = VRR 4/2016, 13; Fromm VRR 2010, 411; unrichtig daher AG Waiblingen zfs 2005, 365). Zur Auswirkung des Augenblicksversagens auf die Höhe der Geldbuße näher → Fahrverbot, Rechtsgrundlagen, Rdn 1738.

 

Rdn 1531

c) Ins Zentrum der Überlegungen ist das Augenblicksversagen durch die Grundsatzentscheidung des BGH v. 11.9.1997 gelangt (BGHSt 43, 241 = NZV 1997, 525 m. Anm. Hentschel; Scheffler DAR 1998, 157). Danach gilt: Für Geschwindigkeitsüberschreitungen nach § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BKatV hat der BGH in diesem Beschluss klargestellt, dass die Anordnung eines Fahrverbots nicht in Betracht kommt, wenn der Verstoß darauf beruht, dass der Betroffene infolge einfacher Fahrlässigkeit ein die Geschwindigkeit begrenzendes Verkehrszeichen übersehen hat. Auch bei einem Regelfall bleibe § 25 Abs. 1 StVG alleinige Rechtsgrundlage für das Fahrverbot. Für die hiernach erforderliche grobe Pflichtwidrigkeit müsse neben dem objektiven Element der schwerwiegenden Zuwiderhandlung kumulativ auch die subjektive Komponente des Handelns aufgrund von grober Nachlässigkeit, grobem Leichtsinn oder Gleichgültigkeit hinzutreten. An Letzterem fehle es in Fällen einfacher Fahrlässigkeit, die Indizwirkung des erfüllten Regelfalls entfalle. Es bedürfe dann nicht des Fahrverbots als Denkzettel- und Besinnun...

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