Das Wichtigste in Kürze:

1. In der Praxis dominieren bei Geschwindigkeitsüberschreitungen die Regelfälle des § 4 Abs. 1 S. 1 BKatV, Nichtregelfälle nach § 25 Abs. 1 StVG sind selten.
2. Die objektive Indizwirkung des Regelfalls ist kaum widerlegbar.
3. Die Widerlegung der subjektiven Indizwirkung lässt die Rechtsprechung außerhalb der Grundsätze des Augenblicksversagens zu: bei Unterschreitung der verwaltungsinternen Mindestabstände der Messung vom Verkehrsschild ohne sachlichen Grund, bei vermeidbarem Verbotsirrtum hinsichtlich der Verbotsregelung und – eingeschränkt – in tatsächlichen oder vermeintlichen Notsituationen.
 

Rdn 1664

 

Literaturhinweise:

Albrecht, Sofortiges Fahrverbot bei extremen Geschwindigkeitsüberschreitungen?, NZV 1998, 397

ders., Die Strategie des Gesetzgebers zur Bekämpfung von Geschwindigkeitsverstößen (Rückblick und Perspektiven), NZV 2001, 247

Burhoff, Blitzen in der Nähe des Ortseingangsschildes, VA 2003, 14

Deutscher, Aktuell: Die Änderungen des Straßenverkehrsrechts, VRR 5/2020, 4

ders., Die StVO-Novelle 2020 – einen Nachlese, VRR 7/2020, 4

ders., Aktuell: Die Änderung der BKatV, VRR 11/2021, 5

Fromm, Zur Rücknahme der "Führerschein-Falle" nach der StVO-Novelle und Konsequenzen für die aktuelle Gesetzesanwendung, SVR 2020, 246

ders., Geschwindigkeitsverstöße vor und nach der StVO-Novelle 2020, DAR 2020, 527

Krumm, Verstoß gegen die Richtlinien über Geschwindigkeitskontrollen im Bereich des Beginns einer Geschwindigkeitsbegrenzung, VRR 2006, 90

ders., Notstandsähnliche Situationen und notstandsbezogene Irrtümer beim Regelfahrverbot nach Geschwindigkeitsverstoß, DAR 2012, 606

ders., StVO-Novelle 2020: "Kommando zurück! Und dann?", DAR 2020, 476

Scheffler, "Grober Verkehrsverstoß" bei Nichtbeachtung einer aus Lärmschutzgründen angeordneten Geschwindigkeitsbeschränkung, NZV 1995, 214

ders., Geschwindigkeitsverstoß auf innerstädtischer Autobahn, NZV 1996, 180

ders., Qualifizierte Geschwindigkeitsüberschreitung in verkehrsberuhigter Zone, NZV 1998, 142

ders., Leider nichts Neues zum Regelfahrverbot, NZV 2005, 510

Schäfers, Fahrverbot für wiederholte Geschwindigkeitsüberschreitungen auf dem verfassungsrechtlichen und rechtspolitischen Prüfstand, DAR 2011, 190

Weigel, Die Richtlinien der Bundesländer zur Geschwindigkeitsüberwachung, DAR 2023, 105

Zabel, Kann eine "verdauungsbedingte Notlage" im Straßenverkehr nach (oder ohne) Alkoholkonsum zum Verzicht auf Fahrerlaubnisentzug oder auf ein Fahrverbot führen?, BA 1999, 22

s. auch die Hinw. bei → Fahrverbot, Allgemeines, Rdn 1493, bei → Geschwindigkeitsüberschreitung, Allgemeines, Rdn 1891, und → Geschwindigkeitsüberschreitung, Urteil, Allgemeines, Rdn 2179.

 

Rdn 1665

1. Bei Geschwindigkeitsüberschreitungen richtet sich die Zulässigkeit der Anordnung eines Fahrverbots wegen grober Pflichtverletzung in aller Regel zunächst nach § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BKatV, Nr. 9.1–9.3, 11.1–11.3 BKat und der Tabelle 1 des Anhangs des BKat. Abgestuft nach der Art des geführten Kfz, des Wesens des Tatortes und der absoluten Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung kann bei einem Verstoß ein Fahrverbot von 1–3 Monaten angeordnet werden. Hierdurch wurde ein differenziertes System geschaffen, das innerhalb des von § 25 Abs. 1 StVG vorgegebenen Rahmens die Androhung des Fahrverbots als solches und dessen Dauer an die Schwere des Verstoßes und die damit verbundene abstrakte Gefährlichkeit koppelt. Die Schwellenwerte für die Anordnung eines Fahrverbots und für dessen Dauer sind bei Verstößen innerhalb geschlossener Ortschaften wegen der gesteigerten Gefährlichkeit niedriger als bei solchen außerhalb geschlossener Ortschaften.

 

☆ Durch die 54. VO zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 20.4.2020 (BGBl I, 814; näher Deutscher VRR 5/2020, 4) waren die Schwellenwerte für die Anordnung des Regelfahrverbots mit Wirkung zum 28.4.2020 erheblich gesenkt worden: bei Verstößen außerhalb geschlossener Ortschaften von 41 km/h auf 26 km/h und bei innerörtlichen Überschreitungen von 31 km/h auf 21 km/h. Diese Absenkung der Schwellenwerte war nicht nur undurchdacht und systemwidrig (näher Voraufl. Rn 1678). Die ÄnderungsVO war zudem wegen eines Verstoßes gegen das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG nichtig, da die Ermächtigungsgrundlage für die Regelung von Fahrverboten in § 26a Nr. 3 StVG in ihrer Präambel nicht genannt wurde (hierzu Deutscher VRR 7/2020, 4). Durch die erste VO zur Änderung der BKatV vom 13.10.2021 (BGBl. I 4688, in Kraft seit 9.11.2021) wurden diese Verschärfung vollständig zurückgenommen und stattdessen die Regelgeldbußen deutlich erhöht (Übersicht bei Deutscher VRR 11/2021, 5; NZV 2022, 105).Deutscher VRR 5/2020, 4) waren die Schwellenwerte für die Anordnung des Regelfahrverbots mit Wirkung zum 28.4.2020 erheblich gesenkt worden: bei Verstößen außerhalb geschlossener Ortschaften von 41 km/h auf 26 km/h und bei innerörtlichen Überschreitungen von 31 km/h auf 21 km/h. Diese Absenkung der Schwellenwerte war nicht nur undurchdacht und systemwidrig (näher Voraufl. Rn...

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