Das Wichtigste in Kürze:

1. Die Verwirklichung eines Regelbeispiels begründet die widerlegbare Vermutung der Erforderlichkeit des Fahrverbots zur erzieherischen Einwirkung auf den Betroffenen.
2. Vielfach nutzen Tatrichter die Möglichkeit, unter Hinweis auf die mangelnde Erforderlichkeit unter Anhebung der Geldbuße vom Fahrverbot abzusehen.
3. Die Rechtsbeschwerdegerichte sind bei der Anerkennung solcher Umstände wesentlich strenger.
4. Anhaltspunkt für eine fehlende Erforderlichkeit können Einkommens- und Vermögensverhältnisse sein, bei denen eine deutliche Erhöhung der Regelgeldbuße denselben Erziehungseffekt wie ein Fahrverbot besitzen kann.
5. Entsprechende Umstände müssen frühzeitig vorgetragen werden, beim Schweigen oder Bestreiten der Tat muss dies "hilfsweise" erfolgen.
 

Rdn 1377

 

Literaturhinweise:

Beck, Ausnahmen vom Fahrverbot, DAR 1997, 32

Bode, Absehen vom Fahrverbot, zfs 1995, 2

Burhoff, Absehen vom Fahrverbot, VA 2001, 104

ders., VRR-Arbeitshilfe: Rechtsprechung zum Absehen vom Fahrverbot 2010 – 2012, VRR 2012, 452

ders., VRR-Arbeitshilfe: Rechtsprechung zum Absehen vom Fahrverbot 2012 – 2015, VRR 5/2015, S. 3, und VRR 7/2015, S. 3

ders., Neuere Rechtsprechung zum Fahrverbot, VA 2017, 127

Dronkovic/Hanelt, Absehen vom Fahrverbot bei Teilnahme an Nachschulungsmaßnahmen und Nachschulungsmaßnahmen im Vergleich, DAR 1997, 750

Heinrich, Auswirkungen der freiwilligen Teilnahme an einem Aufbauseminar während eines anhängigen Ordnungswidrigkeitenverfahrens, NZV 2010, 237

Himmelreich, Unfallflucht (§ 142 StGB): Wegfall oder Verkürzung von Fahrerlaubnis-Entzug (§§ 69, 69a StGB) und Fahrverbot (§ 44 StGB) bei Nachschulung und Therapie, DAR 2008, 69

Krumm, Absehen vom (Regel-)Fahrverbot, DAR 2011, 379

ders., Aufbauseminar und Co. statt Fahrverbot?, zfs 2014, 309

Schmitz, Absehen vom Fahrverbot nach einer verkehrspsychologischen Intensivberatung, DAR 2007, 603

Wolf/Uhle, Ausnahmen vom Fahrverbot – juristische und verkehrspsychologische Aspekte, DAR 2105, 352

s. auch die Hinw. bei → Fahrverbot, Allgemeines, Rdn 1493.

 

Rdn 1378

1. Bei Verwirklichung eines der Regelbeispiele in § 4 Abs. 1 und 2 BKatV sowie des gesetzlichen Regelfalls bei Trunkenheits- und Drogenfahrten in § 25 Abs. 1 S. 2 StVG wird auf der Rechtsfolgenseite die Vermutung ausgelöst, dass die Anordnung des Fahrverbots zur erzieherischen Einwirkung auf den Betroffenen erforderlich ist. Nur wenn dies ausnahmsweise nicht der Fall ist, kann vom Fahrverbot unter Anhebung der Geldbuße nach § 4 Abs. 4 BKatV abgesehen werden (→ Fahrverbot, Rechtsgrundlagen, Rdn 1719). Im Rahmen von Fahrverboten nach § 25 Abs. 1 S. 1 StVG ohne Eingreifen eines Regelbeispiels muss diese Erforderlichkeit mangels Indizwirkung stets positiv festgestellt werden.

 

☆ Zu der hier einschlägigen Frage, ob und unter welchen Umständen ein längerer Zeitablauf seit der Tat bis zu deren Ahndung die Notwendigkeit entfallen lassen kann, verkehrserzieherisch mit einem Fahrverbot auf den Betroffenen einwirken zu müssen, → Fahrverbot, Absehen, Zeitablauf , Rdn 1476 .längerer Zeitablauf seit der Tat bis zu deren Ahndung die Notwendigkeit entfallen lassen kann, verkehrserzieherisch mit einem Fahrverbot auf den Betroffenen einwirken zu müssen, → Fahrverbot, Absehen, Zeitablauf, Rdn 1476.

 

Rdn 1379

2. Darüber hinaus wenden Betroffene ohne Verteidiger vor dem Tatrichter oft eine Vielzahl von Umständen dafür ein, dass in ihrem Fall ein Fahrverbot nicht nötig sei. So wird darauf verwiesen, man sei Ersttäter, Grenzwerte seien nur geringfügig überschritten worden, der Verstoß sei zu verkehrsarmer Zeit geschehen usw. In gleicher Weise werden Verteidiger im Gespräch mit ihren Mandanten mit solchen Argumenten konfrontiert. Die veröffentlichte Rechtsprechung belegt dann die oftmals gemachte Erfahrung, dass viele Tatrichter nur zu gerne bereit sind, die genannten Argumente aufzugreifen, um auf dem Weg des § 4 Abs. 4 BKatV vom Fahrverbot abzusehen. Hinzuweisen ist auf folgende

 

Rdn 1380

 

Rechtsprechungsbeispiele:

verminderte Gefährdung wegen geringen Verkehrsaufkommens zur Nachtzeit (AG Lingen zfs 1996, 397),
geringes Verkehrsaufkommen zur Tatzeit, geringfügige Überschreitung des Grenzwertes, keine Vorbelastung des Betroffenen (AG Gütersloh zfs 1997, 154),
geringfügige Überschreitung, keine Vorbelastungen (AG Bad Doberan zfs 2003, 424),
nicht gravierender Verstoß (Überschreitung von 23 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften) und zwei (!) einschlägige Vorbelastungen (AG Nördlingen DAR 2004, 284),
der Betroffene ist geständig und nicht vorbelastet (AG Erlangen DAR 2004, 168),
Geständnis bei zweifelhafter Beweislage (AG Bielefeld zfs 1997, 234 m. zust. Anm. Bode).
 

Rdn 1381

3. Demgegenüber haben sich die Obergerichte durchgehend als wesentlich strenger erwiesen. Zwar steht dem Tatrichter eine gewisse Entscheidungsfreiheit in Form eines rechtlich gebundenen Ermessens bei der Beurteilung der Erforderlichkeit zu, die vom OLG im Rahmen der Rechtsbeschwerde nur eingeschränkt auf das Vorliegen von Ermessensfehlern übe...

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