Rdn 1970
Literaturhinweise:
Miebach, Entziehung des Fragerechts im Strafprozeß?, DRiZ 1977, 140
Niemöller, Rechtsmißbrauch im Strafprozeß, StraFo 1996, 104
Senge, Missbräuchliche Inanspruchnahme verfahrensrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten – wesentliches Merkmal der Konfliktverteidigung? Abwehr der Konfliktverteidigung, NStZ 2002, 225
ter Veen, Die Beschneidung des Fragerechts und die Beschränkung der Verteidigung als absoluter Revisionsgrund – zugleich Anmerkung zu BGH 3 StR 449/450/81, StV 1983, 167
Weyand, Das Frage- und Vernehmungsrecht der Verteidigung Ausschöpfung eines strafprozessualen Potenzials, NJW 2024, 637
s.a. die Hinw. bei → Fragerecht des Verteidigers, Zurückweisung einzelner Fragen, Teil F Rdn 1976, und bei → Verteidiger, Verteidigerhandeln und Strafrecht, Teil V Rdn 3896.
Rdn 1971
1. Das Fragerecht kann nach § 241 Abs. 2 grds. nicht als Ganzes entzogen werden (RGSt 38, 57; Meyer-Goßner/Schmitt, § 241 Rn 6; LR-Becker, § 241 Rn 24; Gerst/Gerst, Teil 2 § 241 StPO Rn 37; s.a. Fahl, Rechtsmißbrauch im Strafprozeß, 2004, Rn 429 ff.). § 241 Abs. 2 sieht seinem Wortlaut nach nur die Zurückweisung von einzelnen Fragen vor.
Rdn 1972
2.a) Der Verteidiger darf – ebenso wie jeder andere Verfahrensbeteiligte, dem ein Fragerecht zusteht (→ Fragerecht, Allgemeines, Teil F Rdn 1934) – sein Fragerecht jedoch nicht missbrauchen. Bei fortgesetztem erheblichem Missbrauch des Fragerechts und unter der Voraussetzung, dass weitere zulässige Fragen nicht mehr zu erwarten sind, kann das Gericht ihm sein Fragerecht daher dann auch als Ganzes entziehen. Ein Missbrauch des Fragerechts kommt insbesondere in Betracht, wenn ersichtlich keine sachdienlichen Fragen mehr gestellt werden und das (formale) Fragerecht nur zu prozesswidrigen Zwecken, z.B. um den Abschluss des Verfahrens zu verschleppen, ausgeübt wird (zum Missbrauch von Verteidigungsrechten, also auch des Fragerechts, u.a. Jahn ZRP 1998, 103; Kempf StV 1996, 507; Kröpil JR 1997, 315; Kühne NJW 1998, 3027; Niemöller StV 1996, 501; Senge NStZ 2002, 225; aus der Rspr. u.a. BGH NJW 2005, 1519 [Beachtung der Würde des Zeugen]; NStZ 2005, 218; NStZ-RR 2009, 247).
☆ Die Entziehung des Fragerechts erfordert – entsprechend den Grundsätzen für die Ablehnung von Beweisanträgen – einen ausführlich begründeten Beschluss , aus dem klar hervorgehen muss, auf welche Umstände sich der die weiteren Fragen unterbindende Beschluss stützt (BGH StV 2001, 261; OLG Karlsruhe NJW 1978, 436; → Fragerecht des Verteidigers , Zurückweisung einzelner Fragen , Teil F Rdn 1976 ).Entziehung des Fragerechts erfordert – entsprechend den Grundsätzen für die Ablehnung von Beweisanträgen – einen ausführlich begründeten Beschluss, aus dem klar hervorgehen muss, auf welche Umstände sich der die weiteren Fragen unterbindende Beschluss stützt (BGH StV 2001, 261; OLG Karlsruhe NJW 1978, 436; → Fragerecht des Verteidigers, Zurückweisung einzelner Fragen, Teil F Rdn 1976).
Rdn 1973
b) Das Gericht darf – auch bei fortgesetztem Missbrauch – das Fragerecht nicht sofort als Ganzes entziehen, sondern muss stufenweise vorgehen. Als erste Maßnahme kann der Vorsitzende – nach Abmahnung des Fragenden (LR-Becker, § 241 Rn 24) – die vorherige Mitteilung der Fragen verlangen (BGH NStZ 1982, 158 [insoweit nicht in NJW 1982, 189]; 1983, 209 [Pf/M]; Meyer-Goßner/Schmitt, § 240 Rn 9 m.w.N.). Danach können dann ggf. zunächst einzelne Fragen zurückgewiesen werden (OLG Karlsruhe NJW 1978, 436). Führt das nicht zum Erfolg, kann bei fortgesetztem erheblichem Missbrauch der Vorsitzende als letztes Mittel auch das Stellen weiterer (unsachlicher oder unzulässiger) Fragen für bestimmte Abschnitte der Beweisaufnahme ganz unterbinden (BGH MDR 1973, 371 [D]; OLG Karlsruhe, a.a.O.; LR-Becker, a.a.O.; a.A. RGSt 38, 57; ter Veen StV 1983, 167; zur a.A. s. die Nachw. bei SK-StPO-Schlüchter, § 241 Rn 3; s.a. Niemöller StraFo 1996, 108 f., der in extremen Missbrauchsfällen ein prozessuales Notstandsrecht bejaht, das dem Gericht als "ultima ratio" die Befugnis gibt, das missbrauchte Recht zu entziehen).
Rdn 1974
Die Entziehung darf jedoch nicht weiter gehen, als es zur Verhütung des Missbrauchs unerlässlich ist. Sie ist also z.B. beschränkt auf einen Zeugen, wenn es dem Verteidiger erkennbar (nur) darauf ankommt, diesen bloßzustellen. Sie kommt nicht infrage, wenn andere Mittel Erfolg versprechen. Auch kann der Fragende das Gericht ersuchen, bestimmte Fragen zu stellen. Sind sie nicht missbräuchlich, hat das Gericht dem Ersuchen zu entsprechen. Lehnt es die Bitte ab, muss es dem Verteidiger dann aber (wieder) sein eigenes Fragerecht einräumen (KK/Schneider, § 241 Rn 6).
Rdn 1975
3. Die Entziehung des Fragerechts durch den Vorsitzenden ist eine Maßnahme der → Verhandlungsleitung, Teil V Rdn 3502, die der Verteidiger nach § 238 Abs. 2 beanstanden kann und muss, um einen Gerichtsbeschluss herbeizuführen, da nur das ihm die Revisionsrüge des § 338 Nr. 8 erhält (dazu BVerfG wistra 2003, 419 [für den Nebenklägervertreter]; BGH NJW 2005, 377).