Rdn 1458

 

Literaturhinweise:

S. die Hinw. bei → Fahrverbot, Absehen, allgemeine Gründe, Rdn 1376 und → Fahrverbot, Allgemeines, Rdn 1493.

1. Bei der Prüfung der Angemessenheit der Folgen eines Fahrverbots können neben beruflich-wirtschaftlichen Gründen (→ Fahrverbot, Absehen, berufliche Gründe, Rdn 1399 ff.) auch persönlich-immaterielle Auswirkungen eine Rolle spielen. Zwar sind auch insoweit Nachteile und Unannehmlichkeiten, wie sie typischerweise mit dem Fahrverbot verbunden sind, für dessen überschaubare Zeit als selbst verschuldet hinzunehmen. Es sind jedoch Fälle denkbar, bei welchen das Fahrverbot den Betroffenen aufgrund bei ihm vorliegender besonderer persönlicher Umstände erheblich stärker beeinträchtigt als andere Betroffene. Dabei sind dieselben Kriterien anzuwenden wie auch bei den beruflichen Gründen.

 

☆ Das bedeutet für den Verteidiger, dass auch hier die entsprechenden Umstände dem Tatrichter möglichst frühzeitig mit aussagekräftigen Beweismitteln (Schwerbehindertenausweis, ärztliche Atteste usw.) vorzutragen sind.aussagekräftigen Beweismitteln (Schwerbehindertenausweis, ärztliche Atteste usw.) vorzutragen sind.

 

Rdn 1459

2. Daraus folgt, dass allein das Alter des Betroffenen nicht für die Annahme einer unangemessenen Härte genügt (OLG Hamm NZV 2001, 437).

 

Rdn 1460

3. Gesundheitliche Beeinträchtigungen, insbesondere körperliche Behinderungen, können allerdings dazu führen, dass der Betroffene in stärkerer Weise als andere auf die Nutzung des Kfz angewiesen ist. Eine unzumutbare Härte liegt vor, wenn feststeht, dass der Betroffene wegen der Erkrankung zwingend auf die Fahrzeugnutzung angewiesen ist und ihm die Bezahlung von Taxifahrten oder Einstellung eines Fahrers als Mittel der anderweitigen Abwendbarkeit nicht zumutbar ist. Das Tatgericht muss dann auch erwägen, ob eine Übernahme der Fahrtkosten durch die Krankenkasse nach § 60 Abs. 1 S. 2 SGB V i.V.m. der Krankentransport-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die VO von Krankenfahrten, Krankentransportleistungen und Rettungsfahrten nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 12 SGB V in Betracht kommt (so OLG Bamberg zfs 2017, 233). Macht der Betroffene geltend, aus gesundheitlichen Gründen (sog. Reisekrankheit) weder Mitfahrmöglichkeiten als Bei- oder Mitfahrer noch öffentliche Verkehrsmittel nutzen zu können, sondern auf die Nutzung eines Kraftfahrzeugs als dessen Fahrer angewiesen zu sein, muss nicht nur die Erkrankung als solche ärztlich attestiert sein, sondern auch die objektiv-wissenschaftlichen Standards, aufgrund derer diese Befunde festgestellt worden sind (OLG Bamberg zfs 2016, 290 m. Anm. Krenberger = VRR 7/2016, 16; hierzu Deutscher VRR 9/2016, 5).

 

Rdn 1461

Vom Fahrverbot wurde in solchen Fallgestaltungen abgesehen bei einem

querschnittsgelähmten Rollstuhlfahrer (AG Hof NZV 1998, 388), der alleinstehend und ohne Fahrer und für alle Besorgungen des täglichen Lebens auf das Fahrzeug angewiesen ist (OLG Frankfurt am Main NZV 1995, 366),
Betroffenen mit Beinamputation unterhalb des rechten Knies, der sich nur mit einer Gehhilfe fortbewegen kann (OLG Karlsruhe NZV 1991, 159),
zu 100 % schwerbehinderten Erwerbsunfähigkeitsrentner, der sich keinen professionellen Fahrservice leisten kann (OLG Brandenburg DAR 2004, 658),
herzoperierten Betroffenen, der dreimal wöchentlich zwecks Nachbehandlung zur Universitätsklinik muss, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur schwer erreichbar ist (AG Meldorf zfs 2000, 366).
 

☆ Erforderlich sind aber Feststellungen zu Art und Schwere der Behinderung bzw. Beeinträchtigung, deren Auswirkungen auf den Betroffenen sowie die Frage der Zumutbarkeit der Bezahlung von Taxis, Fahrdiensten u.Ä.Feststellungen zu Art und Schwere der Behinderung bzw. Beeinträchtigung, deren Auswirkungen auf den Betroffenen sowie die Frage der Zumutbarkeit der Bezahlung von Taxis, Fahrdiensten u.Ä.

 

Rdn 1462

Daher genügt für ein Absehen ohne diese Feststellungen nicht allein eine

schwere Gehbehinderung (OLG Frankfurt am Main NZV 1994, 286; NStZ-RR 2001, 344),
70 %ige Gehbehinderung (OLG Hamm NZV 1999, 316; a.A. AG Göttingen DAR 2002, 281),
50 %ige Gehbehinderung (OLG Hamm NZV 2007, 152),
Nutzung eines Elektrorollstuhls, wenn sich der Betroffene in einem handbetriebenen Rollstuhl fortbewegen kann (AG Löbau NJW 2008, 530 = DAR 2008, 405 m. Anm. Hufnagel [zu § 44 StGB], zw.),
gesundheitliche Beeinträchtigung mit der Notwendigkeit regelmäßiger Arztbesuche (OLG Hamm NStZ-RR 1999, 282).
 

Rdn 1463

4. Auch die Eigenschaft als alleinerziehende Mutter genügt ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht für die Annahme einer unzumutbaren Härte (OLG Düsseldorf NZV 1995, 405; OLG Hamm NZV 2008, 308; anders AG München DAR 1996, 369 [weit abgeschiedener Wohnort]). Die mit einem Fahrverbot verbundenen Einschränkungen des Kindesumgangsrechts sind für ein Absehen positiv festzustellen (BayObLG, Beschl. v. 7.11.2023 – 201 ObOWi 1115/23).

 

Rdn 1464

5. Auswirkungen auf nahestehende dritte Personen können ebenfalls von Belang sein, so wenn der Betroffene ...

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