Leitsatz
Als Verteidiger kann nach § 138 Abs. 1 StPO auch ein Fachhochschullehrer mit Befähigung zum Richteramt gewählt werden.
Sachverhalt
Der Angeklagte legte durch seinen Verteidiger Prof. Dr. K. Revision gegen eine Entscheidung des LG ein. K., ein früherer Rechtsanwalt, dessen Zulassung widerrufen worden war, ist Professor für Familien- und Verwaltungsrecht an der FH Potsdam. Nach Auffassung des Senats konnte Prof. Dr. K. im vorliegenden Verfahren nach § 138 Abs. 1 StPO als Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule zum Verteidiger gewählt und bestellt werden und damit auch wirksame Rechtsmittelerklärungen abgeben.
Entscheidung
Die Frage, ob ein Fachhochschullehrer als Strafverteidiger auftreten darf, wurde in Rechtsprechung und Schrifttum bislang sehr unterschiedlich beurteilt. Strittig war dabei, ob diese Lehrenden den Begriff "Rechtslehrer", den die StPO seit In-Kraft-Treten unverändert in § 138 Abs. 1 StPO gebraucht, erfüllen. Der Begriff setzt jedenfalls voraus, dass der Betroffene deutsches Recht hauptberuflich selbständig lehrt. Diese Voraussetzung erfüllt ein Fachhochschullehrer nach Meinung des BGH. Er verweist in diesem Zusammenhang auf das hier maßgebliche Hochschulrecht des Landes Brandenburg, das dem der übrigen Bundesländer weitestgehend entspricht. Die Rechtsanwendung wird an den Fachhochschulen unter Einbeziehung rechtswissenschaftlicher Methoden und Erkenntnisse vermittelt. Damit erfasst sie den Kernbereich juristischer Ausbildung und ist als Rechtslehre zu qualifizieren. Eine mit den Methoden der Rechtswissenschaft erläuterte Rechtsanwendung überragt das Niveau eines bloßen rechtskundlichen Unterrichts. Fachhochschullehrer üben ihre Tätigkeit auch selbständig aus. Sie genießen die Freiheit der Lehre, können also die inhaltliche und methodische Gestaltung von Lehrveranstaltungen bestimmen, und die Freiheit der Forschung. Überdies – so die Richter – hat der Gesetzgeber durch die Novellierung des § 67 VwGO Fachhochschullehrern ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt, verwaltungsrechtliche Streitigkeiten in der Revisionsinstanz vor dem BVerwG zu vertreten. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber Fachhochschullehrer im Verwaltungs- und Strafprozess anders behandeln wollte oder hierfür gar eine sachliche Notwendigkeit bestünde, waren für den Senat nicht ersichtlich. Voraussetzung für ein derartiges Tätigwerden ist allein die Befähigung zum Richteramt. Der Rechtsbeistand muss also sein zweites juristisches Staatsexamen absolviert haben. Erfüllt der gewählte Verteidiger diese Voraussetzung, sind nach Meinung der Richter die unverzichtbaren strafprozessualen und -rechtlichen Grundkenntnisse sicher gestellt. Ein strafrechtlicher Schwerpunkt der Tätigkeit des Wahlverteidigers ist dagegen nicht erforderlich. Schließlich, so das Gericht, seien selbst vor dem BGH in Strafsachen sämtliche Rechtsanwälte postulationsfähig, ohne dass es hier auf eine diesbezügliche Spezialisierung ankomme.
Praxishinweis
Die Entscheidung des 5. Strafsenats setzt einen vorläufigen Schlusspunkt unter die seit Jahren erbittert geführte Diskussion, inwieweit Fachhochschullehrer eigenständig nach § 138 Abs. 1 StPO zum Verteidiger gewählt werden können. Der Beschluss stellt – zumindest für alle an Fachhochschulen in der juristischen Lehre tätige Professoren mit der Befähigung zum Richteramt – diesen Personenkreis jetzt "normalen" Professoren bedingungslos gleich. Sie können damit ohne jede Einschränkung das Amt eines Strafverteidigers übernehmen. Der in der Praxis häufig gewählte Umweg über die Einzelzulassung auf der Grundlage des § 138 Abs. 2 StPO ist damit obsolet geworden. Fachhochschulprofessoren können überdies ab sofort in Steuerstrafverfahren als Co-Verteidiger im Sinne des § 392 Abs. 1 letzter Halbsatz AO neben einem Steuerberater auftreten, selbst wenn bei entsprechend komplexen Strafverfahren die Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung gegeben sind.
Link zur Entscheidung
BGH, Beschluss vom 28.08.2003, 5 StR 232/03