Leitsatz
§ 30 der in der Energie- und Wasserversorgung geltenden Allgemeinen Versorgungsbedingungen (AVB) ermöglicht es den Versorgungsunternehmen, ihre aus den Lieferverhältnissen resultierenden Entgeltforderungen ungeachtet eines Streits über Fehler bei der Verbrauchserfassung oder -berechnung mit einer vorläufig bindenden Wirkung festzusetzen und im Prozess ohne eine anschließende Beweisaufnahme über deren materielle Berechtigung durchzusetzen, sofern der Kunde nicht den Nachweis einer offensichtlichen Unrichtigkeit der geltend gemachten Forderung erbringt. Gelingt dies dem Kunden nicht, ist er im Zahlungsprozess des Versorgungsunternehmens mit dem Einwand eines fehlerhaft abgerechneten Verbrauchs ausgeschlossen und darauf zu verweisen, die von ihm vorläufig zu erbringenden Zahlungen in einem anschließend zu führenden Rückforderungsprozess in Höhe des nicht geschuldeten Betrags erstattet zu verlangen (Fortführung von BGH, Urteil v. 6.4.2011, VIII ZR 273/09, BGHZ 189 S. 131; Urteil v. 6.12.1989, VIII ZR 8/89, WM 1990 S. 608; Urteil v. 19.1.1983, VIII ZR 81/82, WM 1983 S. 341).
(amtlicher Leitsatz des BGH)
Normenkette
AVBFernwärmeV § 30; AVBWasserV § 30; AVBEltV § 30
Kommentar
Ein Energieversorgungsunternehmen belieferte eine Gewerbeimmobilie in der Zeit von März 2004 bis Dezember 2005 mit Strom, Fernwärme und Wasser. Hierfür stellte der Energie- und Wasserlieferant einen Betrag von ca. 60.000 EUR in Rechnung. Der Verwalter der Immobilie hat "mit Nichtwissen" bestritten, dass die Verbrauchsmengen richtig erfasst wurden. Die Instanzgerichte wiesen die Klage des Versorgungsunternehmens weitgehend ab: An der Verlässlichkeit der Verbrauchsdaten bestünden erhebliche Zweifel; einen Beweis für deren Richtigkeit habe das Versorgungsunternehmen nicht geführt.
Der BGH hat das Urteil aufgehoben. Nach § 30 der Verordnungen über die Versorgung mit Fernwärme (AVBFernwärmeV), über die Lieferung von Wasser (AVBWasserV) und über die Lieferung von Strom (AVBEltV) berechtigen "Einwände gegen Rechnungen und Abschlagsberechnungen" nur insoweit zur Zahlungsverweigerung, als "sich aus den Umständen ergibt, dass offensichtliche Fehler vorliegen ...".
Aufgrund dieser Bestimmung kann der Einwand des Kunden, die Rechnung sei wegen eines Mess-, Ablese- oder Rechenfehlers unrichtig, im Zahlungsprozess nur berücksichtigt werden, wenn der Fehler nach den Umständen "offensichtlich" ist. Dies ist der Fall, wenn die Rechnung "bereits auf den ersten Blick Fehler erkennen lässt" und bei "objektiver Betrachtung kein vernünftiger Zweifel über die Fehlerhaftigkeit möglich ist".
Bloße Zweifel nicht ausreichend
Der Kunde muss nicht nur den Fehler, sondern auch dessen Offensichtlichkeit beweisen. Bloße Zweifel an der Richtigkeit der Rechnung genügen nicht.
Der Kunde wird hierdurch nicht rechtlos gestellt; er hat die Möglichkeit, die Rechnung im Rückzahlungsprozess überprüfen zu lassen. In diesem Verfahren trägt allerdings der Kunde die Beweislast für den Fehler.
Link zur Entscheidung
BGH, Teilversäumnis- und Schlussurteil v. 21.11.2012, VIII ZR 17/12