Prof. Dr. Dr. Thomas Gergen
I. Abweichungen vom AT
Auf Grund der Verdrängung der Regelungen des Allgemeinen Teils durch speziellere familienrechtliche Vorschriften hat der Grundsatz der Anwendbarkeit des Allgemeinen Teils eine geringe praktische Bedeutung.
Die Regelungen der §§ 116 ff. oder 119 ff. BGB sind zwar generell anwendbar, doch sind Sonderregelungen für Willenserklärungen zu finden, welche zur Begründung oder Veränderung eines familienrechtlichen Status führen. § 1314 Abs. 1 und 2 Nr. 1-5 BGB verdrängen etwa die Regelungen der §§ 116 ff. BGB. Aber auch die §§ 1759–1761 BGB regeln die Aufhebung der Adoption oder § 1600a BGB die Anfechtung der Vaterschaftsanerkennung, so dass die Gestaltungsrechte wie Anfechtung, Rücktritt sowie Kündigung keine Anwendung finden. Hierbei erfolgt die Gestaltung meist nicht durch eine rein rechtsgeschäftliche Willenserklärung, sondern durch einen Antrag oder eine Klage, die dann kraft gerichtlicher Gestaltung wirken.
Durch die höchstpersönliche Natur familienrechtlicher Ansprüche, wird das Vertretungsrecht der §§ 164 ff. BGB und deren Bedeutung deutlich vermindert, wie bei Eheschließungen, auf die Vertretungsregelungen auf Grund des höchstpersönlichen Charakters der Willenserklärungen keine Anwendung finden.
In Fällen, in denen Minderjährige eine familienrechtlich bedeutsame Willenserklärung nicht selbst abgeben dürfen, können diese nicht durch rechtsgeschäftlich Bevollmächtigte, sondern lediglich durch gesetzliche Vertreter abgegeben werden. In Fällen, in denen Vermögens- oder Statusinteressen des Minderjährigen in Rede stehen, bedarf es obendrein der Zustimmung des Familiengerichts.
Der beschränkt Geschäftsfähige wird durch das Familienrecht viel differenzierter behandelt, als es §§ 106 ff. BGB vorsehen.
Für die allgemeine Rechtsgeschäftslehre reicht die starre Altersgrenze des vollendeten 7. und des noch nicht vollendeten 18. Lebensjahres im Interesse der Rechtsklarheit aus. Im Familienrecht hingegen muss jedoch im Interesse des selbstständig werdenden Kindes stärker differenziert werden. Das Gesetz gibt vor Erreichung der Volljährigkeit der Vollendung des 14. und des 16. Lebensjahres eine besondere Bedeutung.
Ab 14 Jahren kann das Kind beispielsweise (mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters) selbst der Adoption i.S.d. § 1746 BGB oder nach § 1596 Abs. 1 BGB der Vaterschaftsanerkennung zustimmen. Wenn das Kind das 16. Lebensjahr vollendet hat, kann es unter der Voraussetzung, dass sein künftiger Ehegatte volljährig ist, gem. § 1303 Abs. 2 BGB vom Familiengericht von dem Volljährigkeitserfordernis des § 1303 Abs. 1 BGB befreit und ihm die sog. Ehemündigkeit zugesprochen werden.
Wenn es sich um höchstpersönliche Interessen des Kindes, wie Gesundheit, körperliche Unversehrtheit oder das Kindeswohl dreht, differenziert das Familiengericht noch stärker und einzelfallbezogener. Im Falle einer Operation kann etwa ein Kind, das schon das 12. Lebensjahr erreicht hat, entscheiden, ob es diese vornehmen lassen möchte oder nicht. Diese Entwicklung zur einzelfallbezogenen Berücksichtigung des Kindeswillens wird Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG entnommen; dabei handelt es sich um das sog. Kindespersönlichkeitsrecht, das mit Alter und Reife zunehmende Bedeutung gewinnt.
II. Abweichungen von Schuld- und Sachenrecht
Das Familienrecht kann auch auf rein schuld- oder sachenrechtliche Ansprüche einwirken. Beispielsweise klagt ein Ehegatte gegen den anderen nicht nach § 985 BGB, um einen Haushaltsgegenstand wiederzubekommen, sondern stützt sich seit dem 1.9.2009 auf § 1568a und b BGB (vorher HausratsVO von 1944!).
Die bei der Teilnahme am Straßenverkehr entstandenen Schadensersatz- sowie Schmerzensgeldansprüche kann der Ehegatte auch grundsätzlich während der Ehe geltend machen. Im Einzelfall können die Ansprüche jedoch von der Pflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft und dem daraus resultierenden Rücksichtnahmegebot blockiert werden. Des Weiteren ist der Haftungsmaßstab i.S.d. § 1359 BGB zu beachten. Demnach haben die Ehegatten bei den sich aus dem ehelichen Verhältnis ergebenden Verpflichtungen einander nur für die eigenübliche Sorgfalt einzustehen (§ 277 BGB). Eine Anspruchsgrundlage wird durch § 1359 BGB jedoch nicht gewährt!
Es handelt sich um den bereits erwähnten Haftungsmaßstab, der den Grad der Fahrlässigkeit anzeigt, den ein Ehegatte dem anderen gegenüber im Rahmen der schadensersatzbegründenden Normen zu vertreten hat. Besondere Bedeutung findet diese Norm im Rahmen der Unterhaltspflicht gem. § 1360a Abs. 3 und § 1613 BGB und im ehelichen Güterrecht. Er gilt jedoch auch für Rechtsgeschäfte zwischen Ehegatten, die im engen Zusammenhang mit der Verwirklichung des ehelichen Lebens stehen. Fraglich ist, ob er auch im Rahmen von Deliktsansprüchen eine Anwendung findet. Laut BGH ist eine Anwendung des § 1359 BGB bei Körperverletzungen oder Sachbeschädigungen, die sich im häuslichen Bereich ereignen, möglich. Bei Verletzungen hingegen, die sich die Ehegatten unter Verstoß gegen die Regeln im Straßenverkehr zufügen, verneint der BGH das Haftungsprivileg.