Die Diskussion, ob es dem Kindeswohl entspricht, wenn von vorneherein eine gemeinsame elterliche Sorge für nichtehelich geborene Kinder besteht, wird kontrovers geführt. Nach meiner Auffassung wird allein durch das Verschaffen einer Rechtsposition noch nicht das Kindeswohl garantiert. Das Kindeswohl wird nicht dadurch gewahrt, dass alle Eltern von vorneherein das gemeinsame Sorgerecht haben. Beim Kindeswohl geht es vielmehr um tägliche (und nächtliche) Verantwortung, also um die Realität der gemeinsamen Alltagsbewältigung. Prof. Hans Bertram stellte bei der Veranstaltung der AG FamR zur Unterhaltsreform fest, dass sich Väter statistisch nach der Trennung (ob Ehe oder nicht) zunehmend aus der Verantwortung für die Kindesbetreuung verabschieden und regelmäßig keine tägliche Verantwortung für das Kind übernehmen. Dies ginge zu Lasten derer, die das Kind (überwiegend alleine) betreuen.
Offenbar sind die Väterexemplare, die eine Verantwortung für ihre Kinder tatsächlich auch mit übernehmen, seltener zu finden. Die Zahlen über die Inanspruchnahme von Elternzeit durch Väter sind nicht gerade ermutigend. Dank Elterngeld nehmen zwar mehr Väter in Deutschland Elternzeit, sie tun es nach einer Studie der Universität Tübingen jedoch kürzer als vor der Reform (!). In der Regel nutzten sie lediglich die letzten zwei "Vätermonate". Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Vater Elternzeit in Anspruch nehme, sei umso geringer, je mehr er im Vergleich zu seiner Partnerin verdiene, je mehr Arbeitsstunden er pro Woche leiste und je ausgeprägter seine Identifikation mit dem Arbeitgeber sei. Fördernd wirke sich aber aus, wenn der Vater keine "extrovertierte Persönlichkeit" habe.
Extrovertierte Typen haben eine nach außen gewandte Haltung. Sie empfinden den Austausch und das Handeln innerhalb sozialer Gruppen als anregend. Typisch sei, dass sie gesprächig, bestimmt, aktiv, energisch, dominant, enthusiastisch und abenteuerlustig sind. Ach was! Mütter sollen angeblich nicht so sein: Betreuen sie das Kind alleine, werden sie zwangsläufig zum introvertierten Charakter und beobachten in sozialen Gruppen eher, als dass sie selbst handeln? Ihre typischen Eigenschaften wären somit: still, sorgfältig, scheu, reflektierend und zurückgezogen.
Doch wo sind die Väter, die nicht nur – extrovertiert – Rechte einfordern, sondern bereit sind, auch tägliche – introvertierte – Verantwortung, also die lästigen häuslichen Pflichten zu übernehmen? Warum sollten wir die Möglichkeit einer gerichtlichen Prüfung nicht nutzen? Sie wäre auch bei manchen zuvor verheirateten Vätern angebracht, die sich in gleicher Weise der gemeinsamen Verantwortung entziehen.
Was Europa angeht, hat der EuGH in seiner Entscheidung vom 5.10.2010 einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, den Erwerb des Sorgerechts durch den Vater eines Kindes davon abhängig zu machen, dass er zuvor eine Entscheidung des Gerichts erwirken muss. Dass der Vater nicht automatisch Inhaber des Sorgerechts für sein Kind ist, berühre nicht den Wesensgehalt seines Rechts auf Familienleben. Ein Antrag ermögliche es nämlich, eine Entscheidung über die Sorge für das Kind unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände zu treffen, wie die Umstände der Geburt des Kindes, die Art der Beziehung zwischen den Eltern, die Beziehung zwischen Elternteil und Kind sowie die Fähigkeit jedes Elternteils, die Aufgabe der Sorge zu übernehmen.
Der EuGH hat also nichts gegen das vom BVerfG entworfene "Antragsmodell". Die Gerichte sollten prüfen können, ob extrovertierte Väter in der Lage sind, mit einer Antragstellung auch ihre introvertierten Eigenschaften ausreichend darzulegen und ob sie es damit auch den Müttern wirklich ermöglichen wollen, gleichermaßen extrovertiert am sozialen und vor allem am beruflichen Leben teilzunehmen. Letzteres wird ja zunehmend gefordert.
Ingeborg Rakete-Dombek, Rechtsanwältin und Notarin, Fachanwältin für Familienrecht, Berlin