Als weitere Voraussetzung für die Zulässigkeit des selbstständigen Beweisverfahrens muss ein rechtliches Interesse an der Durchführung der Beweiserhebung bestehen. Das ist nach § 485 Abs. 2 S. 2 ZPO der Fall, wenn das Verfahren der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann. Dieses Merkmal ist großzügig auszulegen. Ein Rechtsstreit kann nach der Rechtsprechung zum Beispiel auch dann vermieden werden, wenn das selbstständige Beweisverfahren nicht zu dem vom Antragsteller vermuteten Ergebnis führt und er deshalb möglicherweise von einem gerichtlichen Verfahren Abstand nimmt. Ein rechtliches Interesse kann auch nicht deshalb verneint werden, weil der Antragsgegner seine Einstandspflicht leugnet, Verjährung geltend macht oder jegliche gütliche Einigung im Vorfeld ablehnt. Die Rechtsprechung verneint das rechtliche Interesse vielmehr nur, wenn überhaupt kein Rechtsverhältnis, kein Anspruch oder kein möglicher Verfahrensgegner ersichtlich ist. Das wird in Familiensachen in der Regel nicht der Fall sein.
Da die Rechtsprechung entfernte Schlichtungsmöglichkeiten für ausreichend hält, kann das selbstständige Beweisverfahren einen Rechtsstreit selbst dann vermeiden, wenn ein materiell-rechtlicher Anspruch nicht schlüssig dargelegt bzw. glaubhaft gemacht ist. Auf die Erheblichkeit der Beweisfragen oder die Erfolgsaussichten im späteren Verfahren kommt es insoweit nicht an.
Das OLG Naumburg hat das wie folgt zusammengefasst:
Zitat
"(…) Die Feststellung des Wertes kann der Vermeidung eines gerichtlichen Zugewinnausgleichsverfahrens dienen. Insoweit genügt eine Schlichtungsmöglichkeit im weitesten Sinne, auch entfernte Schlichtungsmöglichkeiten berechtigen nicht dazu, das "rechtliche Interesse" zu verneinen. Der Hauptsacheprozess muss nicht mit Sicherheit zu erwarten oder angedroht sein; schon die aus der Rechtslage herzuleitende Möglichkeit eines solchen Prozesses genügt. Auf die Möglichkeit, ein Privatgutachten einzuholen, darf der Antragsteller nicht verwiesen werden. Das selbstständige Beweisverfahren kann selbst dann ein gerichtliches Verfahren vermeiden, wenn die in diesem Verfahren festzustellenden Tatsachen keine ausreichende Grundlage für materiell-rechtliche Ansprüche (vgl. hier etwa § 1384 BGB) geben; denn auf die Erheblichkeit der Beweisfragen oder die Erfolgsaussichten im späteren Prozess kommt es nicht an."
Es reicht sogar aus, eine spätere mögliche Teilungsversteigerung zu vermeiden. Diese wird oft nur notwendig, weil die Parteien sich nicht über den Wert der Immobilie einigen können. Auch die Teilungsversteigerung ist ein Parteiprozess im Sinne der ZPO, denn das Zwangsversteigerungsverfahren ist Teil des achten Buches der Zivilprozessordnung. Damit steht der Anwendung der Vorschriften des selbstständigen Beweisverfahrens nicht entgegen, dass die Abwicklung in einem Spezialgesetz normiert wird.
Das OLG Brandenburg hat diese weite Anwendbarkeit des selbstständigen Beweisverfahrens in einer jüngeren Entscheidung bestätigt und ausgeführt:
Zitat
"Das rechtliche Interesse wird bei einem Streit über den Wert von Grundstücken i.d.R. gegeben sein, weil ein Sachverständigengutachten objektiv geeignet ist, eine einvernehmliche Streitbereinigung herbeizuführen und so einen Rechtsstreit zu vermeiden. Ein getrenntlebender Ehegatte hat ein rechtliches Interesse an der Feststellung des Wertes eines im jeweils hälftigen Miteigentum stehenden Hausgrundstücks, da dadurch eine außergerichtliche Zugewinnausgleichsregelung erleichtert und somit ein entsprechendes Gerichtsverfahren vermieden werden kann. Nichts anderes gilt für solche im Alleineigentum eines Ehegatten stehenden Grundstücke, wie es hier der Fall ist."