Der vergleichende Blick auf Kinderschutzverfahren veranschaulicht die Unterschiede zwischen den Ländern und zeigt Potenzial zur Verbesserung der Qualität auf. Unabhängig von der jeweiligen Struktur weisen alle Länder Defizite sowohl in der Richterausbildung als auch in der Umsetzung der direkten Kindesanhörung auf. Forschende in den verschiedenen Ländern heben insbesondere die Notwendigkeit der besseren Fort- und Weiterbildung aller Berufsgruppen hervor.
Ein in Deutschland stark ausgeprägtes und in der Rechtspraxis verankertes Verständnis des Kinderschutzes als Feld, das Spezialkompetenz erfordert, wird in der Praxis erheblich verwässert. Anderweitige Organisationsinteressen, aber auch knappe Ressourcen tragen hierzu wesentlich bei. Limitierte Fort- und Weiterbildungsangebote für Richter*innen erschweren die Qualifizierung in Bereichen außerhalb der juristischen Kernkompetenz. Forderungen nach einer Qualitätsoffensive im Kinderschutz sind begrüßenswert. Die Veränderungsbedarfe gehen jedoch über ein verbessertes Qualifizierungsangebot hinaus. Derzeit sorgt das System des Kinderschutzes nur unzuverlässig und unstrukturiert für ein Lernen aus erfolgreichen und fehlgeschlagenen Kinderschutzverläufen. Es fehlen nachträgliche Reflexions- und Kontrollroutinen. Der Mangel an systematischer Datenerhebung erschwert die Qualitätssteigerung zusätzlich.
Anzustreben ist eine größere Verlässlichkeit und Transparenz bei der Qualifizierung und die Verständigung über Qualifikationsstandards in den verschiedenen Berufsfeldern. Außerdem dürfte lohnen, die Suche und Etablierung von Mechanismen und Verfahren konstruktiver Systemkritik fortzusetzen. Dies kann zudem helfen, einer dauerhaften Gefährdung des Kinderschutzsystems durch mediale oder politische Inszenierung und Abwertung abzuwenden, indem kritische Analyse und stetige Qualitätsentwicklung zum Standard des nationalen sowie der regionalen und örtlichen, interdisziplinären Kinderschutzgeschehens gehört. Kinderschutzverfahren lassen sich auf Grundlage der so gewonnenen Erkenntnisse vor allen Dingen dann verbessern, wenn die beteiligten Akteure auch bereit sind, über ihren Schatten zu springen und offen dafür sind, gewohnte Verfahren und Organisationsstrukturen zu hinterfragen und weiterzuentwickeln.
Autor: Thomas Meysen & Jenny Krutzinna , Heidelberg/Bergen (Norwegen)
FF 1/2020, S. 14 - 18