– Ein internationaler Vergleich anlässlich des Staufener Missbrauchsfalls –
I. Anlass
Nehmen Familiengerichte und Jugendämter Aufgaben zum Schutz eines Kindes wahr und gelingt es ihnen nicht, das Kind tatsächlich zu schützen, kann dies nicht nur zu erheblichen Schädigungen für das Kind, sondern auch zu Erschütterungen im Kinderschutzsystem führen. Der sog. "Staufener Missbrauchsfall" ist ein solcher "high profile-Fall", der bundesweit Aufmerksamkeit erlangt und Betroffenheit und Empörung ausgelöst hat. Dass Fehlschläge im Kinderschutz eingehende öffentliche Auseinandersetzung erfahren, mitunter auch medial "inszeniert" werden, ist kein exklusiv deutsches Phänomen, sondern im internationalen Kontext eher ein Zeichen für ausreichend lebendiges Empfinden in Gesellschaft und Fachwelt für die Mitverantwortung der staatlichen Gemeinschaft für den Schutz von Kindern (Art. 6 Abs. 2 GG). Wenn die Stimmung aber in eine Schuldzuweisungs-Kultur (blaming culture) umschwenkt, kann die Anteilnahme erhebliche negative Auswirkungen für das Kinderschutzsystem haben. Die konkret betroffenen "risikogefährdeten Kinderschutzorganisationen" erholen sich nach einem solchen tragischen Fall häufig dauerhaft nicht mehr. Die überregional erzeugte Dynamik kann sich dequalifizierend auf die Qualität der Kinderschutzarbeit insgesamt auswirken und zu Absicherungsmentalität und bürokratisierten Beteiligungs- und Beratungsprozessen führen.
Werden problematische Fallverläufe im Kinderschutz hingegen als Kette von Systemproblemen und nicht als das persönliche Versagen der Letzten in der Kette verstanden, können sie als Aufforderung zur Schärfung der Reflexivität des eigenen Handelns und der Abläufe verstanden und genutzt werden. Entsprechend soll der Anlass im vorliegenden Beitrag genutzt werden, um die Horizonte mit einem vergleichenden Blick auf die Kinderschutzverfahren jenseits der deutschen Grenzen zu erweitern. Im "Staufener Missbrauchsfall" wurden Aspekte der Qualifizierung von Familienrichter*innen sowie der Organisation der Familiengerichte (siehe unten II.), der Kindesanhörung (III.) sowie der Eingriffskonzepte (IV.) engagiert debattiert. Der Beitrag vergleicht das Kinderschutzverfahren in Deutschland mit demjenigen in anderen Ländern, um hieraus Denkanstöße für eine weitere Qualifizierung der Praxis und Weiterentwicklung der Strukturen zu geben.
II. Qualifizierung von Familienrichter*innen und Organisation der Familiengerichte
Anlässlich des sog. "Staufener Missbrauchsfalls" hat die Debatte um eine Qualifizierung von Familienrichter*innen und der anderen beteiligten Akteure an Fahrt aufgenommen. Der Koalitionsvertrag erwartet "von allen an familiengerichtlichen Verfahren beteiligten Berufsgruppen (…) kontinuierliche Fortbildung in fachlicher und methodischer Hinsicht für ihre anspruchsvolle Tätigkeit und interdisziplinäre Zusammenarbeit." Dies wurde unterstützt durch Plädoyers für eine Qualitätsoffensive. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend fördert den Aufbau eines i...