Insbesondere die zu beobachtende sehr unterschiedliche Handhabung des § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG (Absehen von persönlicher Anhörung des Kindes, Verzicht auf Anhörungs- und Erörterungstermine etc. in der Beschwerdeinstanz, also rein schriftliches Verfahren) durch die Oberlandesgerichte bzw. teilweise sogar der Familiensenate innerhalb eines Oberlandesgerichts, aber auch die zahlreichen und nicht selten erfolgreichen Verfassungsbeschwerden in Kindschaftssachen sowie die vom BVerfG in Anspruch genommene besondere Prüfungstiefe bei der Anwendung des materiellen Rechts (die sich auch auf einzelne Auslegungsfehler und auf deutliche Fehler bei der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts erstreckt[8]) zeigen, dass der Zugang zum Bundesgerichtshof auch jenseits der Zulassung durch das OLG eröffnet werden sollte.

Für die persönliche Anhörung des Kindes sollten Standards gesetzlich festgelegt werden. Es bietet sich eine Orientierung an der Legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments zur Reform der Brüssel IIa-Verordnung[9]) an: Dem Kind muss eine echte und effektive Möglichkeit gegeben werden, seine Meinung während des Verfahrens frei zu äußern. Das Gericht muss seine diesbezüglichen Erwägungen in der Entscheidung darlegen. Die Anhörung des Kindes hat ohne Ausübung von Druck, sowie in einer kindgerechten Umgebung stattzufinden. Sie muss in sprachlicher und inhaltlicher Hinsicht dem Alter des Kindes angepasst sein und jegliche Gewähr dafür bieten, dass die emotionale Unversehrtheit des Kindes gewahrt wird. Die Anhörung des Kindes darf nicht in Anwesenheit der Vertragsparteien (Beteiligten) oder ihrer rechtlichen Vertreter durchgeführt werden, muss aufgezeichnet und in die Akte genommen werden. Das Gericht trägt der Meinung des Kindes unter Berücksichtigung seines Alters, Reifegrads und Wohlergehens gebührend Rechnung und legt seine Erwägungen in der Entscheidung dar.[10]

[8] Etwa BVerfGE 136, 382, 391.
[10] Zu den Standards für Kindesanhörungen im internationalen Familienrecht, insbesondere in der am 25.6.2019 beschlossenen Neufassung der Brüssel IIa-Verordnung siehe Ernst, in: Budzikiewicz/Heiderhoff/Klinkhammer/Niethammer-Jürgens (Hrsg.), Standards und Abgrenzungen im Internationalen Familienrecht (2019), S. 9-37.

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