Mit der Entscheidung vom 16.9.2020 gibt der BGH diese Rechtsprechung nunmehr auf und spricht sich für eine begrenzte Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle bis zum Doppelten des bisherigen Höchsteinkommens aus. Dies begründet er mit einem seiner Auffassung nach gebotenen Gleichlauf mit der Berechnung des Ehegattenunterhalts in gehobenen Einkommensverhältnissen. Die Gefahr der Zweckentfremdung von Kindesunterhalt, so der BGH nunmehr, stehe einer Fortschreibung der Tabelle nicht entgegen, da sie sich durch eine realistische Bemessung der Bedarfssätze vermeiden lasse und der betreuende Elternteil dem Kind gegenüber rechenschaftspflichtig sei, bei einer Zweckentfremdung also sorgerechtliche Konsequenzen fürchten müsse.
Diese Änderung der Rechtsprechung kann nicht wirklich überzeugen. Es ist schon nicht nachvollziehbar, weshalb der BGH eine Angleichung der Düsseldorfer Tabelle an den Ehegattenunterhalt als geboten ansieht. Die Bedarfsermittlung beim Ehegattenunterhalt erfolgt nach vollkommen anderen Grundsätzen als beim Verwandtenunterhalt. Der Ehegattenunterhalt geht im Grundsatz von einer Halbteilung des zur Verfügung stehenden Einkommens aus, sodass der Berechtigte in der Regel linear an Einkommensverbesserungen des Schuldners teilnimmt. Dieser prinzipiell quotalen, linearen Teilhabe beim Ehegattenunterhalt steht beim Kindesunterhalt eine prinzipiell pauschale, degressive Teilhabe des Kindes an den wirtschaftlichen Verhältnissen seiner Eltern gegenüber. Und während der konkret bemessene Bedarf im Ehegattenunterhalt im Quotenunterhalt seine Obergrenze findet, i.d.R. aber deutlich geringer als dieser ist, dient die Darlegung eines konkreten Bedarfs beim Kindesunterhalt gerade einer Erhöhung gegenüber den pauschalen Tabellensätzen. Hinzu kommt, dass der Ehegatte am Gesamteinkommen der Familie im Regelfall entweder unterhaltsrechtlich teilnimmt, nämlich soweit das Einkommen verbraucht wird, oder – jedenfalls im gesetzlichen Güterstand – über eine Teilhabe am gestiegenen Vermögen der Familie. Dagegen steht dem Kind eine Teilhabe am steigenden Einkommen der Eltern nur begrenzt und an ihrem Vermögen jedenfalls zu deren Lebzeiten überhaupt nicht zu, sieht man einmal vom Vermögenseinsatz für seinen Unterhalt ab. Die vom BGH beabsichtigte Gleichbehandlung von Ehegatten- und Kindesunterhalt ist damit schon systematisch nicht überzeugend.
Ein Argument gegen eine Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle nennt der BGH selbst: die Gefahr einer Zweckentfremdung hoher pauschaler Unterhaltszahlungen. Er entkräftet diesen Gesichtspunkt mit dem Hinweis auf die Rechenschaftspflicht des betreuenden Elternteils; hohe Praxisrelevanz dürfte dieser Aspekt allerdings eher nicht erlangen. Und selbst wenn das Risiko der Zweckentfremdung objektiv nicht besteht oder ausgeräumt werden kann, ändert dies doch nichts daran, dass gerade besonders hohe Unterhaltszahlungen beim Schuldner zumindest den Verdacht hervorrufen können, das Geld komme auch dem anderen Elternteil zugute. Die Befriedung von Trennungskonflikten dürfte das nicht fördern.
Schwerer wiegt, dass der BGH sich in der Entscheidung vom 16.9.2020 nicht mit dem überzeugendsten Aspekt seiner früheren Rechtsprechung auseinandergesetzt hat, nämlich den fehlenden Erfahrungswerten über das Ausgabeverhalten von Eltern für ihre Kinder bei gehobenen wirtschaftlichen Verhältnissen. Nur mit solchen Erfahrungssätzen lässt es sich aber rechtfertigen, Unterhaltsschuldnern die Deckung eines pauschalierten Bedarfs aufzuerlegen und damit letztlich auch in ihr elterliches Erziehungsrecht einzugreifen. Zwar betont der BGH zu Recht, dass das Kind seinen Bedarf auch von Lebensverhältnissen eines Elternteils ableitet, an denen es faktisch nie teilhatte, weil es z.B. nie mit dem Barunterhaltspflichtigen zusammengelebt hat. Es kann aber nicht überzeugen, wenn Eltern während ihres Zusammenlebens in intakter Ehe aus erzieherischen Gründen entscheiden, ihre Kinder nicht zu verwöhnen, etwa aufgrund allgemeiner Konsumkritik oder um der Erziehung zur Sparsamkeit willen, dann aber für dieselbe Familie nach Trennung der Eltern ein deutlich höherer Lebenszuschnitt als angemessen gelten soll. Im Ehegattenunterhalt lässt die Rechtsprechung dem Unterhaltspflichtigen die Möglichkeit, eine besonders hohe Sparquote und damit einen niedrigeren Unterhaltsbedarf des Berechtigten darzulegen. Beim Kindesunterhalt dürfte ein entsprechendes Ansinnen jedenfalls nach der bisherigen Praxis der Gerichte kaum von Erfolg gekrönt sein. Fehlende Erfahrungssätze bergen außerdem das hohe Risiko eines schwindenden Realitätsbezugs der Tabellensätze. Eine Düsseldorfer Tabelle, die die Wirklichkeit der Lebensverhältnisse von getrennt lebenden Familien nicht mehr abbildet, kann aber auch nicht mehr in der bisherigen Weise mit Akzeptanz in Bevölkerung und familienrechtlicher Praxis rechnen.
Schließlich gibt es für eine Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle auch kein praktisches Bedürfnis. Die entsprechenden Einkommensverh...