1. Nachdem die Struktur der Düsseldorfer Tabelle bereits zum 1.1.2022 mit der Erweiterung von bislang zehn auf heute 15 Einkommensgruppen geändert wurde und schon zuvor, im Jahr 2018, praktisch die komplette, bis 2017 noch übliche Einkommensgruppe bis 1.500 EUR/Monat "herausgeschnitten" worden ist, so dass die Tabelle seit 2018 in der ersten Gruppe undifferenziert monatliche Einkünfte bis 1.900 EUR erfasst – das war bis 2017 die zweite Gruppe –, sind sich die Unterhaltskommission und die Vertreter der Oberlandesgerichte einig, dass die Tabellenstruktur 2023 unangetastet bleiben soll: Nachdem sowohl die Unterhaltsbedarfssätze als auch die Selbstbehaltssätze im Jahr 2023 stark steigen, wäre es derzeit der "falsche Zeitpunkt", wenn zugleich strukturelle Änderungen vorgenommen würden.
2. Die Notwendigkeit einer Strukturänderung drängt sich jedoch auf, wenn man sich vergegenwärtigt, dass einem erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen mit einem unterhaltsrechtlich bereinigten Einkommen von bis zu 1.900 EUR/Monat, nach Berücksichtigung des mit 1.370 EUR/Monat anzusetzenden notwendigen Eigenbedarfs (§ 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB, Anm. A 5 DT 2023) und nach Bereinigung seines Einkommens um 5 % berufsbedingte Aufwendungen (Anm. A 3 DT 2023 bzw. Nr. 10.2.1 der unterhaltsrechtlichen Leitlinien) lediglich noch (1.900 EUR ./. 1.370 EUR ./. 95 EUR [5 % aus 1.900 EUR] =) 435 EUR/Monat an "freiem" Einkommen verbleiben: Dieser Betrag reicht gerade noch aus, um den Unterhaltszahlbetrag für ein Kind der ersten oder der zweiten Altersstufe (Unterhaltszahlbetrag 312 EUR bzw. 377 EUR) entrichten zu können. Um den Bedarf eines 12 bis 17 Jahre alten Jugendlichen, der nach der Tabelle Anspruch auf einen Zahlbetrag von 463 EUR/Monat hat, abdecken zu können, reichen die Einkünfte nicht mehr. Der Unterhaltsbedarf von zwei Kindern – der "Maßgröße" für die Zahl an Unterhaltsberechtigten, deren Bedarf durch die Tabellensätze eigentlich abgedeckt werden soll (Anm. A 1 DT 2023) – kann nicht mehr vollständig befriedigt werden. Ein eventueller Zusatz- (Mehr- bzw. Sonder-) bedarf der unterhaltsberechtigten Kinder, beispielsweise für eine weitgehend übliche, pädagogischen Zwecken dienende Kinderbetreuung, ist dabei noch nicht einmal berücksichtigt.
Es ist offensichtlich: Unter Geltung der Düsseldorfer Tabelle 2023 wird in den unteren Einkommensgruppen und bei mehreren, unterhaltsberechtigten Kindern die Zahl der Mangelfälle zunehmen. Genauso klar ist aber auch, dass die Ursache hierfür nicht beim System der Düsseldorfer Tabelle zu suchen ist. Denn die Düsseldorfer Tabelle beschränkt sich darauf, die bestehenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die vorgefundenen Einkünfte der Unterhaltspflichtigen und den mit statistischen Mitteln bestimmten Bedarf der Unterhaltsberechtigten in praktisch handhabbare Empfehlungen für die Unterhaltspraxis zu "übersetzen". Sie trägt damit zur Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit, aber auch zur Vereinheitlichung der unterhaltsrechtlichen Rechtsprechung bei.
3. In Anbetracht dieses Befundes, der sich abzeichnenden Zunahme von Mangelfällen in den unteren Einkommensgruppen, aber auch im Hinblick auf Kontinuität und "Zukunftsfähigkeit" der Tabelle stellt sich die Frage, ob die Düsseldorfer Tabelle in ihrer Struktur erneut anzupassen ist. Zwei, bereits früher genannte Möglichkeiten drängen sich auf: Es könnte einmal die Zahl der Berechtigten von bislang zwei auf nur noch einen Unterhaltsberechtigten abgesenkt werden. Allerdings entfiele damit das bisherige "Feintuning", dass die heutige, auf den Bedarf von zwei Berechtigten zugeschnittene Tabelle ermöglicht (Anm. A 1, 2. Abs. DT 2023). Denkbar wäre auch, erneut den Zuschnitt der ersten Einkommensgruppe zu ändern und sie über ein Monatseinkommen von 1.900 EUR hinaus nach oben zu erweitern.
Eine andere, noch zu erörternde Frage ist, ob ein derartiger Eingriff opportun ist: Denn das Problem der Mangelfälle lässt sich dadurch allenfalls auf dem Papier, nicht aber im unterhaltsrechtlichen Alltag beheben. Da es auch künftig eine nennenswerte Anzahl von Unterhaltspflichtigen geben wird, die mit ihren Einkünften nicht oder nur mit größter Mühe die Ansätze in der untersten Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle erreichen, könnte daran gedacht werden, derartig niedrige, am Arbeitsmarkt aber tatsächlich gezahlte Löhne ebenfalls in der Unterhaltstabelle mit abzubilden. Dies, obwohl das erzielte Einkommen nicht ausreicht, um den vollen kindlichen Bedarf abzudecken und es nur zu einem Mangelfallunterhalt kommt: Die weitere Diskussion bleibt abzuwarten.