I. Einleitung
Ein Fall aus dem Alltag des familienrechtlich tätigen Anwalts: Der auf Unterhalt in Anspruch genommene Ehemann erklärt, er habe sich bisher für die Familie "abgerackert", z.B. in Form von Überstunden oder einer Nebentätigkeit. Angesichts der Trennung sieht er nicht ein, diese Anstrengungen weiterzuführen. Nachdem er vom Anwalt gehört hat, dass er mit der Anrechnung fiktiver Einkünfte rechnen muss, wenn er einfach "die Brocken hinwirft", möchte er aber doch wissen, ob er nicht wenigstens den Verdienst aus seinen zusätzlichen Anstrengungen behalten kann.
Spiegelbildlich fragt die getrenntlebende Ehefrau, ob es für sie wirtschaftlich sinnvoll ist, eine trotz Betreuung kleiner Kinder oder eigener gesundheitlicher Einschränkungen geleistete Berufstätigkeit unverändert weiterzuführen.
Schon vor rund 25 Jahren wurde die Frage gestellt, ob "der Fleißige der Dumme" ist.
Nachfolgend wird untersucht, was sich seitdem geändert hat und wo in der Praxis die Schwierigkeiten liegen, überobligatorisch erzielte Einkünfte im Unterhaltsrecht sachgerecht zu behandeln.
II. Konzeption und Anwendungsbereich des § 1577 Abs. 2 BGB
1. Allgemeines
Die Vorschrift des § 1577 Abs. 2 BGB gilt als gesetzestechnisch verunglückt und missverständlich formuliert. Der Gesetzgeber hat offenbar geglaubt, nicht ausdrücklich deutlich machen zu müssen, dass sich Abs. 2 nur auf Einkünfte bezieht, die aus einer nicht angemessenen Erwerbstätigkeit oder aus einer Erwerbstätigkeit resultieren, die vom Berechtigten wegen des Vorliegens der Voraussetzungen eines Unterhaltstatbestandes nicht erwartet werden kann.
Glücklicherweise ist seit langem in der Rechtsprechung geklärt, dass Abs. 2 nicht für Einkünfte aus einer zumutbaren Tätigkeit gilt. Diese Einkünfte sind in Abs. 1 geregelt in der Weise, dass sie bedarfsmindernd angerechnet werden. Einkünfte aus einer unzumutbaren Tätigkeit dagegen sind insoweit privilegiert, als sie entweder überhaupt nicht (Abs. 2 S. 1) oder nur nach Billigkeit (Abs. 2 S. 2) anzurechnen sind. Abs. 2 soll eine Schlechterstellung des Bedürftigen, der eine ihm nach § 1570 ff. BGB nicht zumutbare Erwerbstätigkeit ausübt, vermeiden.
In älterer Rechtsprechung wurde als Zweck auch der Erhalt der Lebensstandardgarantie genannt. Diese "Garantie" wurde aber bereits vor der Unterhaltsrechtsreform vom BGH aufgegeben und sodann durch die Gesetzesreform zum 1.1.2008 umgesetzt, u.a. durch die stärkere Betonung des Grundsatzes der wirtschaftlichen Eigenverantwortung (§ 1569 BGB).
Eine einschränkende Anwendung dahin, dass die Vorschrift nur anzuwenden sei, wenn der Schuldner seine Unterhaltspflicht nicht oder nicht vollständig erfülle und die unzumutbare Tätigkeit des Bedürftigen damit zusammenhänge, hat der BGH verworfen unter Hinweis darauf, es handele sich nicht um eine Sanktionsvorschrift gegen den Schuldner, sondern um eine Schutzvorschrift für den Berechtigten.
Die Gründe für die Aufnahme einer unzumutbaren Tätigkeit spielen nur bei der Billigkeitsabwägung nach Abs. 2 Satz 2 eine Rolle. Schwerpunkte in der Praxis sind Einkünfte aus Erwerbstätigkeit neben Kindesbetreuung, trotz Einschränkungen wegen Krankheit und nach Erreichen der Altersgrenze.
2. Anwendungsbereich
a) Tatbestände
Einkünfte aus überobligatorischer Tätigkeit werden im Gesetz nur in § 1577 Abs. 2 BGB geregelt, also für den Berechtigten beim Ehegattenunterhalt. Hinsichtlich der übrigen Fälle bestehen Regelungslücken. Durch die Rechtsprechung ist geklärt, dass eine entsprechende Anwendung beim Trennungsunterhalt (§ 1361 BGB), auf die Bestimmung der Bedürftigkeit beim Verwandtenunterhalt (§ 1602 BGB) und auf Ansprüche aus § 1615l BGB vorzunehmen ist. Auch Einkünfte des Schuldners werden gemäß § 242 BGB nach § 1577 Abs. 2 BGB behandelt, auch hier bei der Leistungsfähigkeit sowie beim Verwandten- und Kindesunterhalt.
b) Sämtliche Einkünfte
§ 1577 Abs. 2 BGB erfasst sämtliche aus unzumutbarer Tätigkeit result...