1. Nichtanrechnung (§ 1577 Abs. 2 S. 1 BGB)
Zweck der Vorschrift ist – anders als früher – nicht mehr die Erhaltung der Lebensstandardgarantie (s.o. unter Ziff. II. 1), sondern das Ziel, dem Bedürftigen einen Teil seines überobligatorisch erzielten Einkommens anrechnungsfrei zu belassen, damit er damit z.B. einen zusätzlichen Mehrbedarf decken kann. Anrechnungsfrei ist derjenige Teil der überobligatorischen Einkünfte, der sich als Differenz zwischen dem vollen Unterhaltsbedarf und dem vom Schuldner nach § 1581 geschuldeten Billigkeitsunterhalt ergibt.
Dabei erfasst der "volle Unterhalt" den Quotenunterhalt, Alters- und Krankenvorsorgeunterhalt sowie etwaigen trennungsbedingten Mehrbedarf. Für letzteren muss der Schuldner aufgrund der im Zweifel eingeschränkten Leistungsfähigkeit (§ 1581 BGB) nicht aufkommen.
Die Prüfungsstufen sind folgende:
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Vom Nettoeinkommen werden zunächst Abgaben, berufsbedingte Aufwendungen und gegebenenfalls Betreuungskosten abgezogen. |
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Sodann wird nach Billigkeit (unter Prüfung der §§ 1570 – 1573 BGB) der anrechnungsfreie Anteil bestimmt. |
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Das restliche Einkommen (unterhaltsrelevantes Einkommen) wird anschließend ohne weitere Abzüge in die Differenzberechnung eingestellt. |
Inzwischen wird vom BGH im Rahmen der Billigkeitsprüfung nicht mehr zwischen Abs. 2 S. 1 und Abs. 2 S. 2 getrennt.
2. Anrechnung nach Billigkeit (§ 1577 Abs. 2 S. 2 BGB)
a) Allgemeines
Die Instanzrechtsprechung hat in der Vergangenheit überwiegend mit einer hälftigen Anrechnung gearbeitet. Der BGH lehnt eine schematische Kürzung nach fester Quote ab. Das steht nicht im Einklang mit der neueren Rechtsprechung des BGH, die eine Pauschalierung aufgrund der Qualifizierung des Unterhalts als "Massenphänomen" für geboten hält.
Wenn das aber für Kindesunterhalt gilt, bei dem seit Jahrzehnten mit Tabellenbeträgen gearbeitet wird, ist wenig einsichtig, weshalb – jedenfalls als Ausgangspunkt – nicht auch bei überobligatorischen Einkünften mit Pauschalierungen gearbeitet werden könnte.
b) Billigkeitsprüfung
Der Wortlaut des Abs. 2 S. 2 spricht nur von einer "Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse". In die erforderliche Billigkeitsabwägung sind aber alle besonderen Umstände des Einzelfalles einzubeziehen. Dazu zählen insbesondere folgende Gesichtspunkte:
aa) Eheleute
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Ursprüngliche Lebensplanung der Ehegatten |
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Beiderseitige wirtschaftliche Verhältnisse einschließlich der wirtschaftlichen Verflechtung der Ehegatten |
bb) Berechtigter
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Art und Umfang der Erwerbstätigkeit und die damit zusammenhängenden besonderen Belastungen |
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Konkreter Betreuungsaufwand: Ist dieser bereits im Rahmen der Einkommensermittlung abgezogen worden, dann schlägt er sich zur Hälfte im Unterhaltsbetrag nieder und kann im Rahmen der Billigkeitsabwägung nicht erneut berücksichtigt werden. |
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Zweck der Tätigkeit (z.B. Auffüllung von Versorgungslücken) |
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Freiwilligkeit |
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Vereinbarkeit der Tätigkeit mit Kindesbetreuung, auch bei Behinderung des Kindes, gegebenenfalls unter Inanspruchnahme von Fremdbetreuung |
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Lebensalter des Berechtigten, etwaige Zunahme körperlicher und geistiger Belastung bei Fortsetzung der Tätigkeit – Lebenssituation des in guten wirtschaftlichen Verhältnissen lebenden neuen Lebenspartners des Bedürftigen, der diesen daran teilhaben lässt |
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Entlastung bei der Betreuung |
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Geringe Höhe des Unterhalts |
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Vorsätzliches Verschweigen von Einkünften |
cc) Pflichtiger
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Verhalten des Schuldners, welches seine Teilhabe an den überobligatorischen Einkünften des Berechtigten unangemessen erscheinen lässt |
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Verletzung der Erwerbsobliegenheit des Schuldners |
c) Schieflage
Der Umstand, dass der Berechtigte durch die überobligatorische Tätigkeit im Ergebnis mehr Geld zur Verfügung hat als der Pflichtige, liegt an seiner besonderen Anstrengung. Eine Korrektur ist deshalb grundsät...