BGB § 1610, FamFG § 113 Abs. 1 S. 2 § 238, ZPO § 307 § 323 Abs. 1
Leitsatz
1. Ein in einem Unterhaltsverfahren abgegebenes Anerkenntnis kann widerrufen werden, wenn ein nachträglich entstandener Abänderungsgrund i.S.d. § 323 Abs. 1 ZPO, § 238 FamFG gegeben ist. Ein Widerruf des Anerkenntnisses kommt aber nur dann in Betracht, wenn der Abänderungsgrund nach Abgabe des Anerkenntnisses eingetreten ist (im Anschluss an Senatsurt. v. 31.10.2001 – XII ZR 292/99, FamRZ 2002, 88).
2. Zur Bemessung von Kindesunterhalt bei überdurchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen des Barunterhaltspflichtigen.
3. Zur Berechnung des konkreten Wohnbedarfs beim Kindesunterhalt in einem Zweipersonenhaushalt.
BGH, Beschl. v. 20.9.2023 – XII ZB 177/22 (OLG München, AG München)
1 Gründe:
A. [1] Die Beteiligten streiten um Kindesunterhalt.
[2] Die am 21.6.2011 geborene Antragstellerin ist die Tochter des Antragsgegners und dessen geschiedener Ehefrau. Die im Jahr 2010 geschlossene Ehe des Antragsgegners mit der Kindesmutter wurde im Februar 2014 rechtskräftig geschieden. Die Eltern sind gemeinsam sorgeberechtigt. Die Antragstellerin ist Schülerin und lebt in der Obhut der Kindesmutter, die für die gemeinsame Wohnung monatliche Ausgaben in Höhe von ca. 2.100 EUR hat. Der Antragsgegner hat sich hinsichtlich des Kindesunterhalts für "unbegrenzt leistungsfähig" erklärt.
[3] Eine im Juni 2013 geschlossene Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung enthielt unter anderem eine bis zum 30.6.2019 befristete Regelung zum – mit dem Ehegattenunterhalt zusammengefassten – Kindesunterhalt. Für die Zeit ab Juli 2019 verpflichtete sich der Antragsgegner durch notarielle Urkunde vom 8.11.2018 zur Zahlung von 160 % des Mindestunterhalts der jeweils gültigen Düsseldorfer Tabelle entsprechend der jeweiligen Altersstufe und abzüglich des hälftigen Kindergelds.
[4] Die Antragstellerin hat – nach Abschluss der Auskunftsstufe eines Stufenverfahrens – erstinstanzlich beantragt, den Antragsgegner unter Abänderung der notariellen Unterhaltsverpflichtung zu verpflichten, zu Händen ihres gesetzlichen Vertreters ab dem 1.7.2019 einen monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von 4.500 EUR zu zahlen.
[5] Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 19.4.2021 zunächst beantragt, den Leistungsantrag der Antragstellerin insoweit abzuweisen, als er verpflichtet werden sollte, an die Antragstellerin einen monatlichen Kindesunterhalt zu zahlen, der über 272 % des Mindestunterhalts der Düsseldorfer Tabelle hinausgeht, und ausgeführt, dass der Bedarf der Antragstellerin grundsätzlich mit dem Tabellenunterhalt von 272 % der Düsseldorfer Tabelle abgedeckt und ein etwaiger berechtigter Mehrbedarf für das Hobby Reiten nicht schlüssig dargelegt worden sei. Weiter hat der Antragsgegner, der für die Zeit von Juli 2019 bis März 2022 einen Kindesunterhaltsbetrag in Höhe von 87.253,99 EUR bezahlt hatte, mit einem Widerantrag beantragt, die Antragstellerin zu verpflichten, den seit 1.7.2019 von ihm bezahlten, über 272 % des Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle hinausgehenden Betrag, hilfsweise den über den in diesem Verfahren rechtskräftig festgestellten Unterhalt hinausgehenden Betrag, an ihn zurückzuzahlen. Mit Schriftsatz vom 23.6.2021 hat er diese Anträge dahin abgeändert, dass Kindesunterhalt nur in Höhe eines Betrages von 200 % des Mindestunterhalts nach der Düsseldorfer Tabelle geschuldet werde und dieser Prozentsatz auch auf das Rückzahlungsbegehren zu beziehen sei.
[6] Das Amtsgericht hat den Antragsgegner verpflichtet, an die Antragstellerin ab dem 1.7.2019 einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 2.259,49 EUR zu zahlen. Auf den Widerantrag des Antragsgegners hat das Amtsgericht die Antragstellerin verpflichtet, an ihn 6.095,94 EUR zu zahlen.
[7] Gegen diesen Beschluss haben sowohl die Antragstellerin als auch der Antragsgegner Beschwerde eingelegt. Die Antragstellerin hat beantragt, den Antragsgegner für die Zeit von Juli 2019 bis August 2021 zu monatlichen Unterhaltszahlungen in Höhe von 2.900,27 EUR und für die Zeit ab dem 1.9.2021 zu monatlichen Unterhaltszahlungen in Höhe von 3.134,42 EUR zu verpflichten, abzüglich der vom Antragsgegner für die Monate Juli 2019 bis Dezember 2021 geleisteten Zahlungen. Außerdem hat sie die Abweisung des Widerantrags beantragt. Der Antragsgegner hat die in der ersten Instanz zuletzt gestellten Anträge weiterverfolgt.
[8] Das Beschwerdegericht hat die Beschwerde der Antragstellerin in vollem Umfang zurückgewiesen. Auf die Beschwerde des Antragsgegners hat es den Beschluss des Amtsgerichts teilweise abgeändert und den Antragsgegner dazu verpflichtet, an die Antragstellerin ab dem 1.4.2022 einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 1.808,37 EUR zu bezahlen. Auf den Widerantrag des Antragsgegners hat es die Antragstellerin verpflichtet, an den Antragsgegner einen im Zeitraum vom 1.7.2019 bis einschließlich März 2022 überzahlten Kindesunterhalt in Höhe von insgesamt 18.076,54 EUR zurückzuzahlen. Im Übrigen hat es die Beschwerde des Antragsgegners ...