Interview mit Dr. Meo-Micaela Hahne, Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof

Dr. Meo-Micaela Hahne

Zur Person: Dr. Meo-Micaela Hahne

  • geboren am 18. März 1947 in Heidelberg
  • 1966–1970 Studium in Heidelberg, Lausanne und Genf
  • 1973 Promotion
  • ab 1974 Justizdienst im Land Baden-Württemberg
  • 1977 Ernennung zur Richterin auf Lebenszeit (Amtsgericht/Familiengericht, Landgericht)
  • 1980–1983 Abordnung als wissenschaftliche Mitarbeiterin an den XII. Zivilsenat des BGH
  • 1985–1987 Abordnung an das Bundesjustizministerium
  • 1987 Ernennung zur Richterin am OLG Karlsruhe
  • Nov. 1991 Wahl zur Richterin am BGH
  • seit Jan. 1992 Mitglied des XII. Zivilsenats (Familiensenat) des BGH
  • seit April 1999 Stellvertretende Vorsitzende des XII. Zivilsenats des BGH
  • seit Nov. 2001 Vorsitzende des XII. Zivilsenats des BGH
  • Vorsitzende der Wissenschaftlichen Vereinigung für Familienrecht e.V., Bonn
  • 1992 bis Sept. 2004 Mitglied der ständigen Deputation des Deutschen Juristentages, zuletzt dessen Stellvertretende Vorsitzende
  • Mitherausgeberin

    • der Zeitschrift für das gesamte Familienrecht (FamRZ)
    • der Buchreihe "FamRZ" Buch (derzeit 20 Bände)
  • Mitautorin

    • in: Johannsen/Henrich, Eherecht, derzeit in 4. Aufl.
    • in: Schwab, Handbuch des Scheidungsrechts, derzeit in 5. Aufl.
  • Zahlreiche weitere Veröffentlichungen auf dem Gebiet des Familien- und Verfahrensrechts

FF/Schnitzler: Frau Dr. Hahne, Sie sind seit Inkrafttreten des neuen Scheidungsrechts am 1.7.1977, also vor mehr als 30 Jahren, in jeweils ganz unterschiedlichen Funktionen mit Familiensachen befasst. Zunächst beim Amtsgericht, dann beim Oberlandesgericht, zwischenzeitlich beim Bundesjustizministerium in Bonn und seit einigen Jahren beim Bundesgerichtshof. Seit 2001 sind Sie Vorsitzende Richterin des 12. Zivilsenats. Teilen Sie die Auffassung, dass eine der richtigen Entscheidungen des damaligen Gesetzgebers war, einen Spezialrichter einzuführen und damit den Familienrichter statt den Allroundrichter auf die Scheidungs- und Familiensachen loszulassen, wie dies vor dem 1.7.1977 der Fall war?

Dr. Hahne: Diese Frage kann ich uneingeschränkt mit "ja" beantworten. Vor allem die Folgesachen Unterhalt und Versorgungsausgleich sind nicht nur in sich komplex, sondern weisen vielfältige Verflechtungen mit sozialrechtlichen, steuerrechtlichen und versorgungsrechtlichen (insbesondere bei berufsständischen und betrieblichen Altersversorgungen) Problemen auf, für die das reine Zivilrecht nicht mehr ausreicht, sondern ein Spezialwissen erforderlich ist. Wo hier die einzelnen "Fallstricke" verborgen liegen, wird der Richter (ebenso wie der Rechtsanwalt) auch meist erst nach einigen Jahren praktischer Erfahrung wissen. Deswegen ist es auch von großer Wichtigkeit, dass als Familienrichter nur eingesetzt wird, wer eine Spezialausbildung und kontinuierliche Fortbildung vorweisen kann. Auch sollte er, bei allem notwendigen Wechsel in den Disziplinen, zumindest einige Jahre in der familienrechtlichen Materie bleiben.

Darüber hinaus bin ich der Ansicht, dass der Katalog der Familiensachen in § 621 ZPO noch um die "vermögensrechtlichen Auseinandersetzungen zwischen Ehegatten nach gescheiterter Ehe außerhalb des Güterrechts" erweitert werden sollte. Wird eine Ehe aufgelöst, ist es mit der Scheidung und den Folgesachen elterliche Sorge, Unterhalt, Versorgungsausgleich und Zugewinnausgleich allein oft nicht getan. Die Schwierigkeiten liegen – und zwar schon in der Trennungsphase – etwa bei Fragen wie:

  • Wer trägt nach Auszug eines Ehegatten aus dem Eigenheim hierfür die Lasten und Kosten?
  • Wie ist eine Neuregelung der Verwaltung und Nutzung des Eigenheims vorzunehmen?
  • Wie ist ein ggf. zu zahlendes Nutzungsentgelt beim Unterhalt zu berücksichtigen?
  • Wie gestaltet sich ein Gesamtschuldnerausgleich zwischen den Ehegatten bezüglich für das Eigenheim eingegangener und anderer ehegemeinsamer Schulden?
  • Wie wirken sich Zahlungen auf diese Schulden bei der Unterhaltsberechnung für Ehegatten und Kinder aus?
  • Wie ist ggf. der Wohnvorteil des im Eigenheim verbleibenden Ehegatten zu berechnen und in die Unterhaltsberechnung einzubeziehen?
  • Wann und unter welchen Voraussetzungen kann ein Miteigentümerehegatte sich einer sofortigen Teilungsversteigerung des von ihm noch bewohnten Familienheims widersetzen?
  • Wie lange besteht noch ein gegenseitiger Anspruch auf gemeinsame steuerliche Veranlagung und wie sind die Steuervorteile hieraus zu verteilen?
  • Wie wirken sich solche Steuervorteile wiederum auf den Unterhalt aus?

Die Ausgangsfragen hierzu unterfallen nicht dem Katalog der Familiensachen, sind also von den allgemeinen Zivilgerichten zu lösen. Ihre Auswirkungen beeinflussen aber unmittelbar die vom Familienrichter vorzunehmende Unterhaltsregelung, je nachdem, wer unterhaltsberechtigt ist und wer noch das Eigenheim nutzt. Umgekehrt kann aber auch das Unterhaltsrechtsverhältnis die allgemeinen zivilrechtlichen Beziehungen der Ehegatten überlagern, z.B. beim Gesamtschuldnerausgleich. Daher ist es ungut, dass diese an sich zusammengehörenden Sachverhalte einer u...

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