Dr. Susanne Offermann-Burckart
Die eigentliche tatbestandliche Handlung, das sog. prävarikationsrelevante Tun, wird in den einschlägigen Vorschriften unterschiedlich umschrieben. Während § 43a Abs. 4 BRAO von der Vertretung widerstreitender Interessen spricht, verbietet § 3 Abs. 1 1. Alt. BORA ein Tätigwerden, sofern der Anwalt eine andere Partei im widerstreitenden Interesse bereits beraten oder vertreten hat, wohingegen § 356 Abs. 1 StGB voraussetzt, dass der Anwalt beiden Parteien durch Rat oder Beistand pflichtwidrig dient. Alle Umschreibungen meinen das Tätigwerden des Anwalts für zwei oder mehr Parteien, deren Interessen gegenläufig sind.
a) Tätigkeit
Tätigkeit ist dabei jede Beratung, jede außergerichtliche oder prozessuale Vertretung, jede andere Beistandsleistung. Anwaltliche Tätigkeit ist in aller Regel außerdem die vermittelnde, schlichtende oder mediative Tätigkeit des Anwalts (vgl. § 18 BORA).
b) Interessenwiderstreit
Die meisten Probleme in Zusammenhang mit dem Thema Interessenkollision bereitet erfahrungsgemäß die Frage, ob Parteien gegenläufige Interessen haben. Diese Frage ist deshalb schwierig zu beantworten, weil die objektive und die subjektive Interessenlage nicht immer übereinstimmen, weil Interessen häufig einem Wandel unterworfen sind und weil auch gleiche Interessen in Konkurrenz zueinander stehen oder später treten können.
aa) Objektive oder subjektive Interessenbestimmung?
Erheblich erschwert wird die Beantwortung der Frage nach dem Vorliegen eines Interessenwiderstreits noch dadurch, dass in Rechtsprechung und Literatur umstritten ist, ob ein objektiver, vernünftiger Dritter oder die Parteien selbst die Interessenlage bestimmen.
In der Rechtsprechung wird vielfach danach unterschieden, ob der Streitstoff der Verfügung der Parteien unterliegt und der Auftraggeber das dem Anwalt erteilte Mandat durch Weisungen beschränken kann. Vor allem in bürgerlich-rechtlichen Vermögensangelegenheiten, die der Parteidisposition unterlägen, sei der Gegenstand des Interesses subjektiv durch die jeweilige Partei zu bestimmen. Ob ein Interessenwiderstreit vorliege, ergebe sich aus dem Auftrag, den der Rechtsanwalt erhalten habe, da er den Umfang der Belange bestimme, mit deren Wahrnehmung der Auftraggeber den Anwalt betraue. Maßgeblich seien nicht der wahre Sachverhalt und die wirkliche Rechtslage, sondern die subjektiven Ziele und Begehren der Beteiligten.
In der Literatur gehen die Meinungen auseinander. Grunewald folgt einer streng objektiven Sichtweise und verlagert subjektive Elemente in den Bereich des Einverständnisses. Nach einer differenzierenden Auffassung entscheidet die durch den Auftrag der Parteien abgegrenzte wirkliche Interessenlage, die aber ihrerseits vom Willen der Parteien gestaltet werde. Eine abweichende Beurteilung dieser Lage durch die Parteien sei ebenso bedeutungslos wie deren Einwilligung in ein pflichtwidriges Handeln des Vertreters, es sei denn, dass die Einwilligung Interessengegensatz und Pflichtwidrigkeit aufhebe. Heine will die Interessen der Parteien jedenfalls dort subjektiv bestimmen, wo der Streitstoff der Parteidisposition unterliegt, also insbesondere in bürgerlich-rechtlichen Vermögensangelegenheiten.
Zu einer streng subjektiven Sichtweise bekennt sich Gillmeister. Schon der Begriff "Interesse" spreche für eine subjektive Sicht. Den Vertretern der objektiven Beurteilung sei entgegenzuhalten, dass besonders zu Beginn von beratungsintensiven Mandaten ein Parteiinteresse noch nicht objektivierbar sei. In vielen Fällen ändere sich das Parteiinteresse im Laufe des Mandats je nach Beurteilung der Erfolgsaussichten und mit der Dauer und den Kosten der Mandatsführung. Eine Partei, die ihren Rechtsbeistand z.B. mit der unbedingten Durchsetzung einer Forderung beauftragt habe und sich erst während des Rechtsstreits vergleichsbereit zeige, bestimme und wechsele ihre Parteiinteressen autonom. Zu Mandatsbeginn hätte der Rechtsbeistand pflichtwidrig gehandelt, wenn er dem Gegner die Vergleichsbereitschaft angedeutet hätte. Nach Änderung des Ve...