Dr. Susanne Offermann-Burckart
Bildet man die "Quersumme" aus den im Vorhergehenden genannten Vorschriften, liegt eine Interessenkollision vor, wenn der Rechtsanwalt in seiner Eigenschaft als Anwalt in derselben Rechtssache gleichzeitig oder nacheinander zwei oder mehr Parteien berät und/oder vertritt, deren Interessen gegenläufig sind. So simpel diese Umschreibung auf den ersten Blick scheint, so schwierig ist die Ausfüllung der einzelnen Merkmale im Detail.
1. (Vor-)Befassung
Die Verbotsnormen der §§ 43a Abs. 4 BRAO sowie 356 Abs. 1 StGB und – nach seinem Wortlaut – insbesondere die des § 3 Abs. 1 1. Alt. BORA knüpfen an die berufliche Vorbefassung des Anwalts mit einer Rechtssache an. Eine private Vorbefassung reicht nicht aus. Allerdings wird es gerade in familienrechtlichen Angelegenheiten häufiger vorkommen, dass der Rechtsanwalt von Freunden und Bekannten im Rahmen privater Zusammenkünfte ganz allgemein z.B. auf Fragen des Unterhalts oder des Sorgerechts angesprochen wird. Auch wenn in einem solchen Fall noch keine Mandatierung vorliegt, ist Vorsicht geboten, wenn sich später im Rahmen eines tatsächlichen Auftrags der andere Ehepartner an den Anwalt wendet. Die kontrovers diskutierte Frage, ob das Verbot den Anwalt nur bei vorangegangener anwaltlicher Tätigkeit trifft, oder ob auch andere berufliche Vorbefassungen ausreichen, spielt in den familienrechtlichen Konstellationen dagegen keine besondere Rolle.
Die Erteilung allgemeiner Auskünfte z.B. über das zuständige Gericht, Rechtsmittelfristen oder die Höhe der zu erwartenden Kosten, die die strittige Rechtssache nicht inhaltlich, sondern nur mittelbar betreffen, ist nach h.M. noch keine anwaltliche oder sonst berufliche Vorbefassung. Andernfalls wäre es leicht möglich, durch vordergründige Fragen, die kaum mit einem bestimmten Mandat in Verbindung gebracht werden können, einen unliebsamen Anwalt auf der Gegenseite auszuschalten.
Veröffentlichungen fokussieren sich meist auf das Tatbestandsmerkmal der "Vorbefassung". Dabei ist selbstverständlich, dass nicht nur ein zeitlich aufeinander folgendes, sondern auch ein gleichzeitiges Vertreten widerstreitender Interessen (also die zeitgleiche Annahme gegenläufiger Mandate) untersagt ist.
2. Sachverhaltsidentität
§ 356 Abs. 1 StGB und § 3 Abs. 1 1. Alt. BORA verwenden übereinstimmend den Begriff "derselben Rechtssache", in der der Rechtsanwalt nicht einmal auf der einen und einmal auf der anderen Seite tätig werden darf.
"Rechtssachen" sind dabei alle Angelegenheiten, "bei denen mehrere Beteiligte in entgegengesetztem Interesse einander gegenüberstehen können". Entscheidend ist das Vorliegen eines einheitlichen historischen Vorgangs, also eines identischen Lebenssachverhalts. Unerheblich ist dagegen, ob es zu Änderungen des rechtlichen Blickwinkels oder zu Wandlungen des Rechtsverhältnisses, etwa nach einem Vergleich oder einer gütlichen Einigung, gekommen ist. Auch ein längerer Zeitablauf oder ein Wechsel der beteiligten Personen heben die Einheitlichkeit des Lebensverhältnisses nicht auf. Es ist also keineswegs so, dass mit der Zeit "Gras über eine Sache wächst" und z.B. eine irgendwann einmal erfolgte trennungsrechtliche Beratung und ein Jahre später durchgeführtes Scheidungsverfahren in keinem wirklichen Zusammenhang mehr zueinander stünden.
Wenn man versucht, eine Definition für "dieselbe Rechtssache" zu finden, könnte man wie folgt formulieren: "Dieselbe Rechtssache ist ein ein- oder mehrschichtiger Lebenssachverhalt, der angesichts der ihn begründenden historischen Tatsachen und/oder der an ihm beteiligten Personen ganz oder in Teilen nur einer einheitlichen juristischen Betrachtung zugeführt werden kann."
3. Handeln im entgegengesetzten Interesse
Die eigentliche tatbestandliche Handlung, das sog. prävarikationsrelevante Tun, wird in den einschlägigen Vorschriften unterschiedlich umschrieben. Während § 43a Abs. 4 BRAO von der Vertretung widerstreitender Interessen spricht, verbietet § 3 Abs. 1 1. Alt. BORA ein Tätigwerden, sofern der Anwalt eine andere Partei im widerstreitenden Interesse bereits beraten oder vertreten hat, wohingegen § 356 Abs. 1 StGB voraussetzt, dass der Anwalt beiden Parteien durc...