Interview mit Prof. Dr. Gerd Brudermüller, Vorsitzender Richter am OLG Karlsruhe und Vorsitzender des Deutschen Familiengerichtstags
Prof. Dr. Gerd Brudermüller
FF/Schnitzler: Das Unterhaltsrechtsänderungsgesetz ist am 1.1.2008 in Kraft getreten. Eine Bilanz kann nach einem Jahr m.E. schon gezogen werden. Was den Betreuungsunterhalt anbelangt, tun sich die Amtsgerichte und Senate der Oberlandesgerichte außerordentlich schwer.
Dr. Brudermüller: Für eine echte Bilanz ist es m.E. noch zu früh. Die Fachzeitschriften sind jeden Monat voll mit neuen Entscheidungen. Erste vorsichtig gezogene Linien werden zwar sichtbar, etwa bei der Befristung von Krankheits- und Altersunterhalt, bei denen die Frage der nachehelichen Solidarität stärker diskutiert wird als beim Aufstockungsunterhalt. Bei der Auswertung der Rechtsprechung stößt man aber auch auf deutlich voneinander abweichende Entscheidungen – vordergründig jedenfalls. Soweit daraus der Schluss gezogen wird, das neue Unterhaltsrecht bewähre sich nicht, gefährde nur jede Rechtssicherheit und belaste zu Unrecht die Frauen, die zu Gunsten der Familie auf Erwerbsarbeit verzichtet haben, halte ich dies für voreilig. Meine Einschätzung lässt sich ganz gut am Beispiel des Betreuungsunterhalts verdeutlichen: Ich glaube nicht, dass sich die Gerichte damit schwer tun. Die meisten nehmen nur den Auftrag des Gesetzgebers – salopp gesagt: "Vergiss das Altersphasenmodell und schau auf den Einzelfall" – ernst. Dann weichen natürlich vermeintlich gleiche Sachverhalte – 8-jähriges Kind hier und 8-jähriges Kind dort – im Ergebnis voneinander ab, wenn von der einen Mutter nur eine teilschichtige und von der anderen eine Vollzeittätigkeit verlangt wird. Aber vielleicht hat die eine Mutter ja auch die besseren Betreuungsmöglichkeiten, das Kind lernt leichter und ist pflichtbewusster, während im anderen Fall möglicherweise der Weg zur Arbeit länger ist, das Kind sich nicht konzentrieren kann und die Hausaufgaben eben nicht schon in der Nachmittagsbetreuung gut erledigt werden, sondern daheim nachzubessern sind. Eine scheinbare Ungerechtigkeit stellt sich einzelfallbezogen somit als größere Gerechtigkeit dar und zwar deutlich besser, als das frühere von der Rechtsprechung viel zu selten modifizierte Altersphasenmodell sie hätte bieten können.
FF/Schnitzler: Der BGH hat zwar in seiner Entscheidung zum Betreuungsunterhalt einer nichtehelichen Mutter erste Hinweise gegeben, diese sind aber offenbar widersprüchlich, insbesondere was die Frage der Pauschalierung anbelangt. Zumindest kann man Frau Dr. Hahne so verstehen, dass sie nicht ein neues Altersphasenmodell wünscht, wie dies im Prinzip auch der Gesetzgeber ausgeschlossen hat. Wie stehen Sie hierzu?
Dr. Brudermüller: In meiner vorhergehenden Antwort habe ich bereits meine Ansicht erkennen lassen, dass ein allein am Alter des Kindes ausgerichtetes Modell der Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils mit dem neuen Recht nicht vereinbar ist. Ich weiß natürlich, dass ein solches Modell von manchen Gerichten, auch Oberlandesgerichten, teilweise ganz unverhohlen, teilweise ein wenig kaschiert wiederbelebt wird. Auch in der Literatur wird vertreten, dass die Praxis zu einem solchen Modell zurückfinden müsse, um Rechts- und Beratungssicherheit zu gewährleisten. Die Anhänger dieser Meinung haben die von Ihnen erwähnte BGH-Entscheidung als eindeutigen Beleg für die Richtigkeit ihrer Ansicht gewertet. Und so liest sich die Entscheidung ja auch. Im Nachhinein festzustellende diesbezügliche Widersprüche wären irritierend. Aber lassen Sie mich in diesem Zusammenhang etwas anderes thematisieren: Wir haben ein neues Recht, das uns jetzt alle zum Denken herausfordert. Ich habe sehr kluge amtsgerichtliche Entscheidungen gelesen, fundiert und dem Einzelfall gerecht werdend. Es sollte uns Juristen doch Freude machen, wenn wir ausgetretene Pfade verlassen und neue Überlegungen anstellen dürfen. Ich finde es daher bedauerlich, wenn manche in dieser Situation nur noch den Rauch, der in Karlsruhe aufsteigt, deuten, prüfen, ob er sich jetzt nach links oder nach rechts neigt, und in jedes obiter dictum die Lösung für alle offenen Fragen hineindeuten. Ich kann die Kolleginnen und Kollegen nur ermutigen, in den offenen Fragen eigene Argumente einzubringen und sich nicht ausschließlich an einer – vielleicht manchmal nur scheinbar – bereits feststehenden BGH-Rechtsprechung zu orientieren.
FF/Schnitzler: Was die Begrenzungsvorschriften anbelangt, so wird hiervon nach meiner Einschätzung deutlich mehr als früher Gebrach gemacht. Hierbei haben wir es mit einem völlig neuen Begriff zu tun, den sog. "ehebedingten Nachteilen". Dies setzt bei Gerichten und Anwälten erhebliche Vorarbeit voraus, bevor eine Entscheidung ergehen kann. Was wir früher nie gemacht haben, muss heute von den Anwälten intensiv vorgetragen werden. Im Grunde genommen wird ein detaillierter Lebenslauf bei beiden Eheleuten verlangt, damit eine Überprüfung eines ehebedingten Nachteils überhaupt möglich i...