Zusammenfassung
Das am 1. September 2009 in Kraft getretene FamFG hat mit § 78 FamFG eine neue Regelung zur Anwaltsbeiordnung im Rahmen bewilligter Verfahrenskostenhilfe für Familiensachen nach § 111 Nr. 2-7 FamFG und entsprechend für Lebenspartnerschaftssachen eingeführt. § 78 FamFG ist lex specialis zu § 121 ZPO, der gem. § 113 Abs. 1 FamFG auf Ehesachen (§ 121 FamFG) und Familienstreitsachen (§ 112 FamFG) weiterhin anzuwenden ist. In Verfahren, in denen eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben ist, sind die Voraussetzungen für die Anwaltsbeiordnung in beiden Normen (§ 78 Abs. 2 FamFG einerseits und § 121 Abs. 2 ZPO andererseits) höchst unterschiedlich ausgestaltet. Während § 121 Abs. 2 ZPO eine Anwaltsbeiordnung gebietet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint (Alt. 1) oder der Gegner anwaltlich vertreten ist (Alt. 2), ist nach § 78 Abs. 2 FamFG dem Beteiligten auf Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl nur dann beizuordnen, wenn die Vertretung durch einen Anwalt wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage erforderlich erscheint. § 78 Abs. 2 FamFG ist somit im Verhältnis zu § 121 Abs. 2 ZPO deutlich enger gefasst: Zum einen wird die erste Alternative des § 121 Abs. 2 ZPO präzisiert (Erforderlichkeit der Beiordnung wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage), zum anderen fehlt die zweite, aus dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit abgeleitete Alternative vollständig. Obwohl die unter § 78 Abs. 2 FamFG fallenden Sorge- und Umgangsverfahren, Entscheidungen nach § 1666 BGB, Abstammungssachen sowie Haushalts- und Ehewohnungssachen für die Beteiligten oft von existenzieller Bedeutung sind und zu empfindlichen Eingriffen in ihre Rechte führen können, scheinen vor allem fiskalische Interessen hinter den erhöhten Anforderungen der Anwaltsbeiordnung in § 78 Abs. 2 FamFG zu stehen.
Unter Einbeziehung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Geltung des Grundsatzes der prozessualen Waffengleichheit, zur Garantie effektiven sozialen Rechtsschutzes und zur Bedeutung des Art. 6 Abs. 2 GG für die Ausgestaltung des gerichtlichen Verfahrens soll im Folgenden untersucht werden, ob der Gesetzgeber mit dem engen Anwendungsbereich des § 78 Abs. 2 FamFG in Sorge- und Umgangsverfahren den verfassungsrechtlichen Vorgaben noch gerecht wird und ob gegebenenfalls mit Hilfe einer verfassungskonformen Auslegung diesen Vorgaben im konkreten Einzelfall Rechnung getragen werden kann.
I. Berücksichtigung des Grundsatzes der prozessualen Waffengleichheit
In ständiger Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) zunächst i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) und später auch mit dem Rechtsstaatsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG) den Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit abgeleitet. Dieser Anspruch und die aus Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 1, 3 GG abgeleitete Garantie des effektiven sozialen Rechtsschutzes fordern eine "weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes", denn die formal bestehende Möglichkeit, Rechtsschutz zu erlangen, darf nicht mangels finanzieller Möglichkeiten faktisch leerlaufen. Der rechtsstaatliche Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit verlangt jedoch keine völlige Gleichstellung, vielmehr muss der Unbemittelte nur dem Bemittelten gleichgestellt werden, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt. Eine Anwaltsbeiordnung ist somit nur dann erforderlich, wenn "ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte".
Nach alter Rechtslage (vor Inkrafttreten des FamFG) war in Literatur und Rechtsprechung umstritten, ob der in § 121 Abs. 2 2. Alt. ZPO für den Zivilprozess normierte Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit auch in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit uneingeschränkt gilt, in denen das Gericht auf Grund des Amtsermittlungsgrundsatzes zur umfassenden Sachverhaltsaufklärung verpflichtet ist. Zu dieser Streitfrage scheint der Gesetzgeber mit der neuen Regelung des § 78 Abs. 2 FamFG eindeutig Position bezogen zu haben: Auf Grund des besonderen, aus dem Amtsermittlungsgrundsatz (§ 26 FamFG) resultierenden Fürsorgecharakters sei eine Anwaltsbeiordnung bei § 78 Abs. 2 FamFG nicht allein deshalb erforderlich, weil ein anderer Beteiligter anwaltlich vertreten ist. Dies gelte auch in den Fällen, "in denen die Beteiligten entgegengesetzte Ziele verfolge...