ZPO § 124 Nr. 2 Alt. 1
Leitsatz
Die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung wegen absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit gemachter falscher Angaben nach § 124 Nr. 2 Alt. 1 ZPO setzt nicht voraus, dass die falschen Angaben des Antragstellers zu einer objektiv unrichtigen Bewilligung geführt haben, diese mithin auf den Falschangaben beruht.
BGH, Urt. v. 10.10.2012 – IV ZB 16/12 (OLG Karlsruhe, AG Konstanz)
1 Aus den Gründen:
[1] Der Beklagte wendet sich mit der Rechtsbeschwerde gegen die Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 124 Nr. 2 Alt. 1 ZPO.
[2] I. Von der Klägerin auf Rückzahlung eines Darlehens in Anspruch genommen, beantragte er mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 15.6.2010 beim Landgericht ratenfreie Prozesskostenhilfe. In der beigefügten Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse war angegeben, er suche nach Arbeit und verfüge weder über eigenes Einkommen noch über Vermögen. Auf Nachfrage des Gerichts ließ er in zwei weiteren Schriftsätzen seines Prozessbevollmächtigten ergänzend vortragen, er habe kein "relevantes" Bankguthaben, wohne bei der Mutter seines Sohnes, welche ihm den Mietanteil stunde und ihn durch Naturalleistungen unterstütze; einen Pkw habe er nicht, könne jedoch ein von dritter Seite leihweise zur Verfügung gestelltes Fahrzeug nutzen, wodurch weitere Schulden entstünden. Er biete sich als Security-Kraft und für Bauarbeiten an, habe aber noch keine Aufträge erhalten und sei mittellos.
[3] Mit Beschl. v. 9.11.2010 bewilligte ihm das Landgericht ratenfreie Prozesskostenhilfe. Am selben Tage wurde der Rechtsstreit durch Vergleich beendet.
[4] Im Juni 2011 regte die Klägerin beim Landgericht an, die Prozesskostenhilfe wieder zu entziehen, denn der Beklagte habe schon während des Rechtsstreits einen Pkw Audi A6 gefahren und dafür monatliche Kosten von rund 800 EUR bestritten. Dazu erklärte der Beklagte auf Anfrage des Gerichts, der Pkw sei das ehemalige Firmenfahrzeug einer GmbH, deren Mitgesellschafter er gewesen sei; seine Geschäftsanteile habe er inzwischen veräußert. Den Fahrzeugunterhalt nebst Leasingvertrag habe er dabei übernehmen müssen, die Kosten würden ihm von Dritten ausgelegt. Urkunden, welche der Beklagte sodann auf richterliche Anordnung vorlegte, ist weiter zu entnehmen, dass er unter Niederlegung seines Amtes als Geschäftsführer mit notariellem Anteilskauf- und Abtretungsvertrag vom 23.6.2010 seinen Geschäftsanteil an der GmbH im Nennwert von 13.000 EUR und eine Darlehensforderung gegen die GmbH in Höhe von 26.429,04 EUR zum Preise von insgesamt 3.000 EUR an Mitgesellschafter verkauft bzw. abgetreten hatte.
[5] Mit Beschluss des Rechtspflegers vom 17.11.2011 hat das Landgericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufgehoben. Die dagegen erhobene sofortige Beschwerde hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Beklagte sein Rechtsschutzbegehren weiter.
[6] II. Das nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
[7] 1. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts sind die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung nach § 124 Nr. 2 Alt. 1 ZPO erfüllt, weil der Beklagte im Bewilligungsverfahren absichtlich falsche Angaben über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht habe. Er habe sowohl seinen vorgenannten GmbH-Geschäftsanteil als auch die Darlehensforderung gegen die GmbH und seine Gesellschafterstellung verschwiegen, aufgrund derer er zur Nutzung des Firmenwagens Audi A6 3.0 TDI DPF quattro berechtigt gewesen sei. Die darin liegende Verletzung der Pflicht, wahre und vollständige Angaben zu machen (§ 117 Abs. 2 ZPO), entfalle nicht durch den zwischen Beantragung und Bewilligung der Prozesskostenhilfe erfolgten Verkauf seiner Gesellschaftsbeteiligung, die behauptete Verwendung des Verkaufserlöses zur Schuldentilgung und die weiteren vorgenannten Verfügungen vom Juni 2010. Die diesbezüglichen Informationen habe der Beklagte nicht freiwillig, sondern erst auf gerichtliche Nachfrage gegeben und selbst dabei noch versucht, den Sachverhalt mit der Angabe zu verschleiern, das Geld für die Fahrzeugkosten werde ihm "von dritter Seite zur Verfügung gestellt". Das lasse auf den für eine absichtliche Falschangabe i.S.v. § 124 Nr. 2 Alt. 1 ZPO erforderlichen Vorsatz schließen.
[8] Dass nicht der Beklagte selbst, sondern sein Prozessbevollmächtigter die maßgeblichen Erklärungen gegenüber dem Gericht abgegeben habe, sei wegen § 85 Abs. 2 ZPO unerheblich.
[9] Es komme nicht darauf an, ob dem Beklagten auch bei wahren und vollständigen Angaben ratenfreie Prozesskostenhilfe hätte bewilligt werden müssen. Zwar sei § 124 Nr. 2 ZPO nach weit verbreiteter Ansicht in Rechtsprechung und Literatur eine Kostenvorschrift ohne Strafzweck, die die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung nur gestatte, wenn sie auf den falschen Angaben des Antragstellers beruhe. Zutreffend sei jedoch die Gegenansicht, na...