Eine umfangreiche Entscheidung zum Kindesunterhalt, die Bekanntes und Neues enthält.
1. Zur Haftung für Kindesunterhalt sieht das Gesetz (§ 1606 Abs. 3 S. 2 BGB) für den typischen Fall des Residenzmodells vor: der eine Elternteil betreut, der andere zahlt. Abweichungen sind nicht nur beim Wechselmodell oder erheblichem finanziellen Ungleichgewicht der Eltern, sondern auch dann veranlasst, wenn eine Fremdunterbringung des Kindes vorliegt oder es schon einen eigenen Haushalt hat; in beiden zuletzt genannten Fällen wird von Seiten der Eltern keine Betreuung mehr erbracht, sie haften dann auf Barunterhalt entsprechend § 1606 Abs. 3 S. 1 BGB.
a) Eine Besonderheit des vorliegenden Falles besteht darin, dass die Kindesmutter verstorben ist und das im November 2000 geborene Kind seit der erneuten Heirat des Vaters bei einem Onkel mütterlicherseits lebt; dann kommt nur noch die Haftung des anderen Elternteils (hier: des Vaters) in Betracht. Dass er auf Barunterhalt haftet, ist klar; aber wie ist der Wert der (von einem Dritten erbrachten) Betreuungsleistung zu bestimmen? Hier stellt der BGH unter Hinweis auf § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB und ein früheres Grundsatzurteil klar, dass grundsätzlich von einer Gleichwertigkeit von Betreuungs- und Barleistungen auszugehen ist (Rn 15). Der Praktiker kennt die Einwände betroffener Unterhaltsschuldner: "Wieso soll ich unverändert zahlen, wenn doch der Betreuungsaufwand mit zunehmendem Kindesalter sinkt?" Oder: "Die Mutter arbeitet doch auch und hat einen neuen Freund; wie will sie da noch betreuen?" Dem ist entgegenzuhalten, dass der Betreuungsaufwand schwankt und – in Abhängigkeit von Lebensalter, Schulwechsel, Pubertät – eher in Wellenbewegungen verläuft, aber keinesfalls linear abnimmt. Viele Mütter vertreten umgekehrt sogar die Ansicht einer Steigerung ("kleine Kinder – kleine Sorgen, große Kinder – große Sorgen").
b) Das Gesetz bestimmt nicht im Einzelnen, was unter Betreuung zu verstehen ist; genannt werden lediglich Pflege und Erziehung (§§ 1606 Abs. 3 S. 2, 1570 BGB). Ersteres bezieht sich mehr auf die Sorge für gesundheitliche und körperliche Belange des Kindes, Letzteres auf die Bemühungen für seine geistige und seelische Entwicklung; Betreuung ist damit eine Mischung aus materieller und immaterieller Fürsorge. Der BGH verwirft auch weiterhin ausdrücklich die Parallele zum Schadensersatzrecht; er spricht sich deshalb gegen die Bestimmung von Betreuungsaufwendungen durch Hilfskräfte und – unter Hinweis auf das Massenphänomen Unterhalt – für die Notwendigkeit einer Pauschalierung i.S.d. Gleichwertigkeit beider Unterhaltsformen aus, und zwar durchgehend für die gesamte Zeit der Minderjährigkeit. Nach dem Tod eines Elternteils haftet der andere Elternteil allein (Rn 15 a.E.).
Vorliegend hatte der Vater unter Hinweis auf die vollschichtige Tätigkeit des Onkels Bedenken an der Gleichwertigkeit geltend gemacht, das OLG hatte dem durch einen nur hälftigen Ansatz bei der Bemessung des Wertes des Betreuungsunterhalts Rechnung getragen. Das deckt sich mit Teilen der Rechtsprechung, die eine Gleichwertigkeit z.B. im Falle eines Aufenthaltes des Kindes bei den Großeltern verneint. Der BGH tritt dem entgegen unter Hinweis darauf, dass eine Betreuung als solche keine besonderen Kosten verursacht und eine Monetarisierung auch nicht durch Vollbeschäftigung ausgeschlossen wird (Rn 21). Verwiesen wird auf die Möglichkeit, als Ausnahmefall eine fehlende Gleichwertigkeit darzulegen (Rn 16), wobei unklar bleibt, ab wann ein "besonders hoher Betreuungsbedarf" vorliegen soll. Konkrete Betreuungskosten werden sich wohl nur bei Heimaufenthalt oder Internat (selbst dort aber wohl nur pauschaliert) feststellen lassen, nicht aber bei Verwandten wie hier. Betreuung erschöpft sich jedenfalls nicht in Kosten; offen bleibt weiterhin, wie man Zuwendung messen und bewerten soll.
c) Wiewohl dogmatisch vielleicht unbefriedigend, so ist die Ablehnung einer Bewertung und der Ansatz eines Betreuungsanteils in Höhe des Barunterhalts für die Praxis im Ergebnis richtig.
aa) Das Problem ist seit der Surrogat-Entscheidung des BGH auch im Bereich des Ehegattenunterhalts bekannt: Der Wert der Hausarbeit der später (wieder) berufstätigen Chirurgin ist ja nicht wirklich um ein Vielfaches höher als derjenige einer Hilfsarbeiterin, die vielleicht sogar die bessere Hausfrau ist; er wird aber gleichwohl mit dem hohen Betrag ihres Verdienstes in die Berechnung eingestellt. Der pauschale Ansatz vermeidet heikle Bewertungen der Qualität der hausfraulichen Tätigkeit und erspart den Beteiligten die Auseinandersetzung mit der "Schlampen-Einrede" in Gestalt von Hinweisen auf Wäscheberge oder schmutziges Geschirr.
bb) Die Betrachtung passt auch beim Kindesunterhalt: Die Betreuungsleistung durch den Onkel ist ja nicht deshalb mehr wert, weil der Vater des betreuten Kindes (höchste Einkommensgruppe) deutlich mehr verdient als ein einfacher Arbeiter. Eine Pauschalierung in Höhe des Barunterhalts lässt sich mit § 160...