Allerdings stellt sich die Frage, ob die Möglichkeiten der bestehenden gesetzlichen Regelung mit der bisher festzustellenden restriktiven Anwendung seitens Rechtsprechung und Literatur ausgeschöpft werden. Klar ist: Nach § 1383 BGB in der gegenwärtigen Fassung lässt sich nur über Fallgestaltungen reden, in denen die beiden Ausgangsvoraussetzungen – der den Gegenstand Begehrende ist zugleich Zugewinnausgleichsgläubiger und der Wert des Herausverlangten übersteigt nicht die Zugewinnausgleichsforderung – erfüllt sind. Entscheidend ist, welche Spielräume die bei der sodann vorzunehmenden Interessenabwägung heranzuziehenden Kriterien – Vermeidung einer groben Unbilligkeit auf der einen, Zumutbarkeit auf der anderen Seite – gewähren.
Die schon erwähnte Entscheidung des OLG Hamm aus dem Jahr 1978, auf die die Literatur sich stützt, hat die Messlatte für die auf Gläubigerseite erforderliche grobe Unbilligkeit sehr hoch gelegt: Anzulegen sei ein "strenger Maßstab". Die Beschränkung des Anspruchstellers auf eine Ausgleichsforderung in Geld müsse "dem Gerechtigkeitsempfinden in unerträglicher Weise widersprechen". Soweit der Anspruchsteller sich auf andere als wirtschaftliche Gesichtspunkte berufe, könne eine grobe Unbilligkeit nur solchen Umständen zu entnehmen sein, denen "ein ganz erhebliches Gewicht" beizumessen sei. Zur Begründung für die Anlegung eines solch strengen Maßstabes beruft das Gericht sich auf die Entstehungsgeschichte des § 1381 BGB (Leistungsverweigerungsrecht wegen grober Unbilligkeit). Der dort vom Verfasser der Gesetzesbegründung ausweislich der Entwurfsbegründung gewünschte strenge Maßstab sei auch bei § 1383 BGB anzuwenden. Dass etwas anderes gewollt gewesen sei, sei nicht anzunehmen. Dem in der Entwurfsbegründung zu § 1383 BGB enthaltenen Bemerken, der Rechtsausschuss habe sich für die – später Gesetz gewordene – Fassung des § 1383 BGB entschieden in dem Bestreben, "soweit wie es der nunmehrige Güterstand (der Zugewinngemeinschaft) zulasse, eine Beteiligung der Ehegatten an Sachwerten zu ermöglichen" – eine Formulierung, die eigentlich nicht gerade nach strengen Anforderungen klingt –, stehe der Auffassung des Gerichts nicht entgegen. In dem vom OLG entschiedenen Fall hatte der Ehemann ein Hausgrundstück und ein Ferienhaus in Österreich je zu Alleineigentum erworben. Das Begehren der Ehefrau, das Ferienhaus unter Anrechnung auf ihre Zugewinnausgleichsforderung übertragen zu bekommen, hatte beim Landgericht (als damaligem Beschwerdegericht) Erfolg gehabt. Das OLG (als damaliges Rechtsbeschwerdegericht) stellt die gegenteilige Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts (damals Amtsgericht – Vormundschaftsgericht) wieder her. Die Erwägungen des Landgerichts würden den Rechtsbegriffen der "groben Unbilligkeit" und der "Zumutbarkeit" nicht gerecht. Dem Umstand, dass die Ehefrau infolge persönlichen Engagements eine "erheblich engere Beziehung" zu dem Ferienhaus hatte als der Mann, misst das OLG kein entscheidendes Gewicht bei.
Zwingt das Gesetz zur Anlegung derart strenger Maßstäbe? Ich meine: nein. Was immer die Gesetzesverfasser in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts sich bei der Verwendung des Begriffs der groben Unbilligkeit in § 1383 BGB vorgestellt haben mögen: Bei dessen Interpretation im Jahr 2019 darf die weitere Rechtsentwicklung, dürfen die inzwischen gewonnen Erkenntnisse, auch die der Unzulänglichkeiten des Systems des Zugewinnausgleichs, so wie er im BGB geregelt ist, nicht außer Acht gelassen werden. Die Erfahrungen mit dem Zugewinnausgleich des BGB haben gezeigt, dass er zwar einerseits ein einfaches, gut praktikables Modell ist, das in den meisten Fällen zu befriedigenden, zumindest akzeptablen Ergebnissen führt, dass andererseits aber sein strenger Schematismus mehr Flexibilität wünschenswert erscheinen lässt, damit auch bei besonderen Fallgestaltungen mehr Einzelfallgerechtigkeit ermöglicht wird. Das weitherzige Ermöglichen von Einzelfallgerechtigkeit in besonderen Fällen ist gerade auch bei Vorschriften gefragt, die – wie § 1383 BGB – als Billigkeitskorrektiv dazu dienen sollen, unbefriedigende Ergebnisse, die sich aus den starren Regeln des Zugewinnausgleichs (hier: Ausgleich findet durch Zahlung von Geld statt) ergeben können, zu vermeiden. Ein restriktiver Umgang mit der Bestimmung durch die Rechtsprechung erscheint nicht länger angezeigt.