Kindesunterhalt
BVerfG, Stattgebender Kammerbeschl. v. 9.11.2020 – 1 BvR 697/20, juris
1. Die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) ist nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung, zu der auch das Unterhaltsrecht gehört, gewährleistet, soweit dieses mit Art. 6 Abs. 1 GG in Einklang steht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.7.1981 – 1 BvL 28/77, BVerfGE 57, 361 <378>). Der ausgeurteilte Unterhalt darf allerdings nicht zu einer unverhältnismäßigen Belastung des Unterhaltspflichtigen führen (a.a.O. <388>). (Rn 11)
2. Aus der in Art. 6 Abs. 2 GG wurzelnden Vorschrift des § 1603 BGB folgt die Verpflichtung der Eltern zum Einsatz ihrer Arbeitskraft, um Kindesunterhalt leisten zu können. Verfassungsrechtlich ist dabei nicht zu beanstanden, dass bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit nicht allein auf das tatsächliche Vermögen und Einkommen des Verpflichteten, sondern auch auf dessen Arbeits- und Erwerbsfähigkeit abgestellt wird und demzufolge dem Unterhaltsschuldner ein fiktives Einkommen zugerechnet wird, wenn er eine ihm mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit unterlässt, obwohl er diese "bei gutem Willen" ausüben könnte (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.11.1984 – 1 BvR 14/82, BVerfGE 68, 256 <270>; BVerfG, Beschl. v. 18.6.2012, 1 BvR 2867/11 <Rn 10>). (Rn 12)
3. Gleichwohl bleibt Grundvoraussetzung eines jeden Unterhaltsanspruchs die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten. Auch im Rahmen der gegenüber minderjährigen Kindern gesteigerten Erwerbsobliegenheit darf von Unterhaltspflichtigen nach § 1603 Abs. 2 BGB nichts Unmögliches verlangt werden. (Rn 3) Sind die zur Erfüllung der Unterhaltspflichten erforderlichen Einkünfte für den Verpflichteten objektiv nicht erzielbar (etwa wegen dessen Gesundheitszustands) und wird ihm die Erwirtschaftung eines Einkommens abverlangt, welches objektiv nicht erzielt werden kann, liegt regelmäßig ein unverhältnismäßiger Eingriff in die wirtschaftliche Handlungsfreiheit vor (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.3.2008 – 1 BvR 125/06 <Rn 16>). (Rn 14)
4. Hat der Unterhaltspflichtige ausreichend substantiiert konkrete Umstände vorgetragen, die eine Einschränkung seiner Leistungsfähigkeit ergeben können, sind die Gerichte im Rahmen der gebotenen Zumutbarkeitsprüfung gehalten, ein fiktives Einkommen ausgehend von den vorgetragenen Umständen realitätsgerecht festzustellen und zu begründen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.8.2014 – 1 BvR 192/12 <Rn 18>) (Rn 15)
5. Die Fachgerichte sind von Verfassungs wegen gehalten, ihre Entscheidungsgrundlagen bei der Verpflichtung zur Leistung von Unterhalt auf fiktiver Basis offenzulegen und somit deren Überprüfung zu ermöglichen. (Rn 16)
Elterliche Sorge und Umgang
KG, Beschl. v. 26.11.2020 – 16 UF 138/19
1. Ein gerichtlicher Billigungsbeschluss nach § 156 Abs. 2 S. 2 FamFG kann nur ergehen, wenn im Zeitpunkt seines Erlasses die Zustimmung aller Beteiligten unter Einschluss auch des Verfahrensbeistandes weiterhin vorliegt.
2. Die Anordnung eines Umgangs im Wechselmodell ist ausgeschlossen, wenn die Eltern nicht in der Lage sind, die zwischen ihnen bestehenden Konflikte einzudämmen und sich bei ihrem Handeln allein von den Bedürfnissen des gemeinsamen Kindes leiten zu lassen, sondern egoistische Motive verfolgen.
3. Eine von den Eltern vereinbarte, individuelle Regelung zum Umgang mit dem Kind trägt regelmäßig die Vermutung in sich, mit dem Kindeswohl am besten im Einklang zu stehen. Die gemeinsam getroffene Elternentscheidung indiziert die Kindeswohlgemäßheit und deshalb kann einer gerichtlichen Entscheidung in einer Umgangssache die von den Eltern erzielte Einigung grundsätzlich zugrunde gelegt werden.
OLG Bremen, Beschl. v. 7.2.2020 – 4 UF 131/19
1. Eine zum Umgang mit dem Kind berechtigende sozial-familiäre Beziehung enger Bezugspersonen zu dem Kind ist gemäß § 1685 Abs. 2 S. 1 BGB anzunehmen, wenn diese für das Kind tatsächliche Verantwortung tragen oder getragen haben.
2. Ein von der Feststellung des Bestehens einer sozial-familiären Beziehung unabhängiges Umgangsrecht steht nach der gesetzlichen Regelung lediglich den Großeltern und Geschwistern des Kindes sowie dem leiblichen Vater, der nicht rechtlicher Vater ist, zu, nicht jedoch den Geschwistern der Kindeseltern.
3. Allein ein nur kurzzeitiges, einer Notsituation geschuldetes Zusammenleben (hier viermonatiges Zusammenleben der Kinder mit Geschwistern des Kindesvaters während einer Bürgerkriegssituation im Heimatland) kann eine sozial-familiäre Beziehung im Sinne von § 1685 Abs. 2 BGB nicht begründen.
OLG Bremen, Beschl. v. 8.12.2020 – 5 UF 66/20
Wird der allein sorgeberechtigten Kindesmutter das Sorgerecht entzogen, kann eine Übertragung der elterlichen Sorge auf den Kindesvater nicht nur dann ausscheiden, wenn sie kindeswohlgefährdend wäre, sondern schon dann, wenn ihr weniger gewichtige Nachteile für das Kind entgegenstehen, die im konkreten Fall die Übertragung als dem Wohl des Kindes widersprechend erscheinen lassen (hier: unsicher-vermeidende Bindung des seit mehr als 20 Monaten fremdplatzierten vierjährigen Kindes an den in seiner Erziehungsfähigkeit...