Herbsttagung und Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht vom 25. bis 26. November 2021
Mehr als 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren der Einladung gefolgt, um mit Kolleginnen und Kollegen Erfahrungen auszutauschen und sich über wichtige Themen zu informieren und fortzubilden – wieder im Online-Format.
Die traditionsreiche Herbsttagung der Familienanwältinnen und -anwälte fand wie im letzten Jahr – coronabedingt – vor den Bildschirmen statt, obwohl eigentlich eine sichere Präsenzveranstaltung in Berlin mit reduzierter Teilnehmeranzahl und gleichzeitigem Stream für die Online-Teilnehmenden geplant war. Wegen der steigenden Infektionszahlen musste diese hybride Veranstaltungsform leider sehr kurzfristig und unter äußerster Kraftanstrengung auf das reine Online-Format umgestellt werden. Das bedauerte die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht Rechtsanwältin Eva Becker in ihrer Begrüßungsansprache sehr und versicherte, dass sich der Geschäftsführende Ausschuss die Entscheidung nicht leicht gemacht hatte. Sie freute sich aber gleichzeitig über den besonders großen Zuspruch, den das Tagungsprogramm offensichtlich gefunden hatte. Nicht zum ersten Mal mahnte sie die schon lange anstehende große Reform des Familienrechts an. Dass bereits im Sondierungspapier der neuen Koalitionsparteien davon die Rede war, die "Rechtspolitik der gesellschaftlichen Realität" anzupassen, machte ihr Hoffnung. In diesem Zusammenhang verwies Eva Becker auch auf die im November veröffentlichte Initiativstellungnahme des Ausschusses Familienrecht im DAV. Darin sind konkrete Vorschläge zum Kindschaftsrecht, zum Unterhalt und zur Betreuung ebenso enthalten wie zum Abstammungsrecht. Nur wenn all dies endlich umgesetzt werde, könne erreicht werden, dass Kinder und Jugendliche bessere Chancen erhalten, und zwar unabhängig von der sozialen Lage ihrer Eltern und unabhängig davon, in welcher Rechtsform die Eltern zusammenleben.
Wie immer standen interessante und praxisrelevante Vorträge von namhaften Referentinnen und Referenten auf dem Programm der Herbsttagung. Hans-Joachim Dose, Vorsitzender Richter am BGH, begann seinen Vortrag – ganz aktuell – mit dem Problem der Mitmutterschaft. Im Koalitionsvertrag der neuen Regierung steht "Wenn ein Kind in die Ehe zweier Frauen geboren wird, sind automatisch beide rechtliche Mütter des Kindes, sofern nichts anderes vereinbart ist." Das bestehende Gesetz gehe aber von der verschieden geschlechtlichen Elternschaft aus, erläuterte Dose. Wenn eine verheiratete Frau ein Kind bekommt, gilt der Ehemann als Vater des Kindes. Das beruhe auf einer Vermutung, denn der Ehemann könnte der leibliche Vater sein. Aber die Vaterschaft kann später angefochten werden, durch den mutmaßlichen leiblichen Vater. Das sei jedoch bei einer gleichgeschlechtlichen Elternschaft nicht so einfach zu übertragen. Wenn zwei verheiratete Frauen ein Kind bekommen, und beide Frauen automatisch als Mütter gelten, sei dies keine Vermutung mehr, sondern eine Fiktion. Denn die eine Frau könne der anderen nicht "beigewohnt" haben, sie sei am Zeugungsakt nicht beteiligt und habe genetisch mit dem Kind nichts zu tun. Die Fiktion aber könne nicht angefochten werden. Somit könnte in einem Verfahren mit gemischt-geschlechtlichen Eltern der rechtliche Vater kommen und sagen, meine Vaterschaft, die durch die Ehe gewonnen wurde, ist anfechtbar, die der Mitmutter aber nicht, das verstößt gegen den Gleichheitssatz in Art. 3 des Grundgesetzes. Wenn es tatsächlich zu einer Gesetzesänderung käme, so Dose, weil es ja inzwischen Vorlagen des Kammergerichts und des Oberlandesgerichts Celle beim Bundeverfassungsgericht gibt, dann müsste diese Problematik unbedingt mitbedacht werden. Hans-Joachim Dose sieht eine Lösung des Problems in der Möglichkeit der Stiefkind-Adoption, durch die eine Mitmutterschaft erreicht werden kann. Im fachlichen Chat, in dem die Teilnehmenden der Veranstaltung sich parallel äußern konnten, wurde indes angemerkt: "Auf die Frage, warum einen “biologische' Abstammung bei den gegenwärtigen Reproduktionsmöglichkeiten führend sein soll und nicht eine Entscheidung der Eltern (die sich als solche sehen), habe ich bisher keine sinnvolle Antwort bekommen." Auch Prof. Dr. Philipp M. Reuß, MJur (Oxon) von der Universität Göttingen beteiligte sich an der Diskussion: "Ich denke, dass soziale, intentionale, genetische und biologische Elternschaft alle einen signifikanten Einfluss auf die Kindesentwicklung und -entstehung nehmen. Nicht stets zur selben Zeit. Ich denke daher, dass eine konzeptionelle Neujustierung des Abstammungsrechts und eine gleichberechtigte Gewichtung der genannten Elemente der Elternschaft angezeigt ist. Hoffen wir, dass im Gesetzgebungsprozess auch die interdisziplinären Aspekte der Elternschaft Berücksichtigung finden."
Nach dem Ausflug in die Zukunft referierte Hans-Joachim Dose über "Revision im Familienrecht – 10 Jahre BGH-Rechtsprechung", eine Rückschau auf die letzten 10 Jahre, bestens geeignet...