1. Auch bei einer Trennung des Kindes von seinen Eltern ist die fachgerichtliche Beweiswürdigung verfassungsgerichtlich grundsätzlich nur darauf zu überprüfen, ob die Feststellungen auf einer tragfähigen Grundlage beruhen und ob sie nachvollziehbar begründet sind.

2. Es ist verfassungsgerichtlich unbedenklich, wenn ein Fachgericht bei der Gefahr einer erheblichen Schädigung des Kindeswohls auf die Grundsätze der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit zurückgreift und als Beweismaßstab einen Grad von Gewissheit ausreichen lassen, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. BGH v. 19.7.2019 – V ZR 255/17 <Rn 27>). Etwas anderes liefe auf die Notwendigkeit einer in jeder Hinsicht unumstößlichen Sicherheit hinaus, die im Ergebnis praktisch unerfüllbare Anforderungen an den Beweis stellte (vgl. BGH a.a.O.).

3. Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn die Fachgerichte eine nachhaltige Kindeswohlgefährdung durch mögliche zukünftige Misshandlungen oder erhebliche körperliche Verletzungen des Kindes feststellen, obwohl sie keine konkreteren Feststellungen zu den einzelnen Verletzungshandlungen oder Versäumnissen der Eltern als die erfolgten treffen können.

4. Haben die Fachgerichte Tatsachen festgestellt, die einen schweren gesundheitlichen Schaden für das Kind prognostizieren, ist der Schluss aus den festgestellten Tatsachen darauf, dass bei der Betreuung durch die Eltern mit ziemlicher Sicherheit mit weiteren ähnlichen Verletzungen des Kindes zu rechnen ist, verfassungsrechtlich unbedenklich.

(Leitsätze der Red.)

BVerfG, Erster Senat 3. Kammer, Nichtannahmebeschl. v. 16.9.2022 – 1 BvR 1807/20 (OLG Frankfurt, AG Michelstadt)

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