BGB §§ 11 Satz 1, 1666, 1666a ; Brüssel IIa-VO Art. 8 Abs. 1; NRWSchulG §§ 34, 41; NRWVerf Art. 8 Abs. 2
Leitsatz
Weigern sich Eltern beharrlich, ihre Kinder der öffentlichen Grundschule oder einer anerkannten Ersatzschule zuzuführen, um ihnen stattdessen selbst "Hausunterricht" zu erteilen, so kann darin ein Missbrauch der elterlichen Sorge liegen, der das Wohl der Kinder nachhaltig gefährdet und Maßnahmen des Familiengerichts nach §§ 1666, 1666a BGB erfordert.
Die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und des Rechts zur Regelung von Schulangelegenheiten i.V.m. der Anordnung einer Pflegschaft ist in solchen Fällen im Grundsatz zur Abwehr der Gefahr geeignet und verhältnismäßig.
Ein vom Familiengericht bestellter Pfleger ist jedoch zur Wahrnehmung seiner Aufgaben im Einzelfall offenkundig ungeeignet, wenn er bereits im einstweiligen Anordnungsverfahren zum Pfleger bestellt worden war und in dieser Eigenschaft die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, dass die Eltern ihre Kinder ins Ausland verbracht haben und ihnen dort nunmehr – wie von ihren Eltern bezweckt – auf Antrag des Pflegers "Hausunterricht" erteilt wird.
Die gleichzeitige Bestellung eines solchen Pflegers stellt zwar die Rechtmäßigkeit des teilweisen Sorgerechtsentzugs und der Anordnung der Pflegschaft als solche nicht infrage. Sie ist, weil sie die Wirksamkeit dieser an sich sachgerechten Maßnahmen unterläuft, aber – für sich genommen – rechtsfehlerhaft.
BGH, Beschl. v. 11.9.2007 – XII ZB 41/07 – (OLG Hamm, AG Paderborn)
Aus den Gründen
Gründe: I. Die Beteiligten zu 1 sind die Eltern der minderjährigen Kinder M. und D. sowie deren drei jüngerer und drei älterer Geschwister. Sie sind gläubige Baptisten und – zusammen mit anderen Mitgliedern ihrer Glaubensgemeinschaft – als Spätaussiedler nach Deutschland gekommen. Das Kind D. besuchte die ersten drei Klassen der öffentlichen Grundschule. Im September 2004 – Beginn der vierten Grundschulklasse – haben die Eltern der Schule mitgeteilt, dass sie das Kind D. ebenso wie das Kind M., das zu diesem Zeitpunkt eingeschult werden sollte, künftig zu Hause unterrichten würden, da die Lehrinhalte und -methoden der öffentlichen Grundschule mit ihren Glaubensüberzeugungen fächerübergreifend nicht vereinbar seien. Gespräche mit Schulleitung, Bezirksregierung und Integrationsbeauftragtem führten ebenso wenig wie die rechtskräftige Verurteilung der Eltern zur Zahlung eines Bußgeldes von je 250 EUR dazu, dass die Eltern die Kinder zum Schulunterricht brachten. Ein Zwangsgeldverfahren wurde bislang nicht erfolgreich abgeschlossen. Die Eltern und andere Mitglieder ihrer Glaubensgemeinschaft streben die Gründung einer Ersatzschule an, die ihren religiösen Überzeugungen entspricht; eine Entscheidung im Verwaltungsverfahren steht aus.
Das AG – Familiengericht – hat den Eltern im Wege der einstweiligen Anordnung die elterliche Sorge in Schulangelegenheiten sowie das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen und auf die Beteiligte zu 2 als Pfleger mit der Maßgabe übertragen, dass im Falle einer notwendig werdenden Fremdunterbringung der Kinder keine Heimunterbringung, sondern eine Unterbringung in einer baptistischen Pflegefamilie erfolgen solle, welche die allgemeine Schulpflicht anerkenne und die Teilnahme der Kinder am Unterricht in einer öffentlichen Schule oder einer anerkannten Ersatzschule ermögliche; zugleich ist die Beteiligte zu 2 ermächtigt worden, die Herausgabe der Kinder mittels Gewalt zu erzwingen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1 hat das OLG zurückgewiesen.
Die Kinder wurden im Juli/August 2005 mit Einwilligung der Beteiligten zu 2 nach W. in K. (Österreich) umgemeldet. Sie halten sich überwiegend dort auf und bewohnen gemeinsam mit ihrer Mutter, die ihren Wohnsitz nach wie vor in P. hat, sowie mit Angehörigen einer anderen baptistischen Familie, die ebenfalls die Erfüllung der deutschen Schulpflicht verweigert, ein gemietetes Haus. Der Vater lebt mit den anderen sechs Kindern weiterhin in P. und geht dort seiner Berufstätigkeit nach. Die Mutter besucht mit den Kindern D. und M. in den Ferien und an verlängerten Wochenenden die übrige Familie in P. Sie will mit den Kindern nicht dauerhaft in Österreich bleiben, sondern nach einem für sie erfolgreichen Abschluss des vorliegenden Verfahrens nach P. zurückkehren. Die Beteiligte zu 2 hat bei den österreichischen Behörden die Gestattung erwirkt, dass die Kinder in Österreich Heimunterricht nach § 11 des österreichischen Schulpflichtgesetzes erhalten; der Unterricht wird ihnen anhand von österreichischem Lernmaterial von ihrer Mutter, die über keine einschlägige Vorbildung verfügt, erteilt. Ausweislich eines von der Hauptschule V. erteilten Zeugnisses "lt. Überprüfung des häuslichen Unterrichts (Schulpflichtgesetz § 11 Abs. 4)" hat das Kind D. die 1. Klasse (5. Schulstufe) mit gutem Erfolg abgeschlossen und ist zum Aufsteigen in die 2. Klasse (6. Schulstufe) berechtigt.
Im Hauptverfahren hat das AG die bereits mit der einstweiligen Anordnung getroffene Regelung...