Spätestens mit Abschluss des diagnostischen Erkenntnisprozesses werden nach den hier dargelegten Vorstellungen modifikationsorientierte Strategien und Interventionen mit den Klienten erarbeitet und zur Diskussion gestellt.
Sie umfassen beispielsweise unter Zuhilfenahme des gesamten diagnostischen Erkenntnisprozesses gemeinsame, lösungsorientierte Gespräche
- mit den Eltern im strittigen Sorgerechtsverfahren,
- die begleitete Kontaktaufnahme des Kindes mit dem anderen Elternteil bei Streitigkeiten um das Umgangsrecht oder
- erste Schritte zur Reintegration des Kindes nach einem Aufenthalt in der Pflegefamilie oder im Kinderheim in das Elternhaus, ohne dass jedoch die Grenzen zu einer der Verschwiegenheit gem. § 203 StGB unterliegenden psychologischen Beratung, Therapie oder Mediation überschritten werden dürfen.
Auch nach dem Inkrafttreten der FGG-Reform (vermutlich nicht vor Mitte 2009) werden weiterhin spezielle diagnostische Interventionstechniken wie das Interview, Methoden der Verhaltensbeobachtung und die Testung insbesondere in schwierigen Konfliktlagen für das Gutachtenverfahren in Familiensachen grundlegende Bedeutung haben.
Nicht die psychologische Begutachtung in Familiensachen ist am Ende, sondern die ausschließlich den Status erhebende und den Menschen beurteilende Psychodiagnostik in einer familienrechtspsychologischen Begutachtung.
Dennoch gilt: Für das Gelingen einer angemessenen Rekonstruktion und der Eröffnung neuer Perspektiven für die von Trennung und Scheidung oder sonstigen familiären Problemen und Konflikten betroffenen Familien steht als anzustrebendes Ziel der Dialog und Konsens sowie die aus dieser Perspektive erwachsenden am Wohl des Kindes orientierten Veränderungen.
Hierzu gehört das Verständnis des einzelnen Menschen und seiner Handlungen in der Bedeutung einer sinnerfüllten Gestaltung seines Lebens, nicht aber in erster Linie die erfassende, vergleichende und Diskrepanzen messende psychologische Diagnostik, die zumindest implizit eher zu einer systematischen Selektion praktisch verwertbarer Informationen und Erkenntnisse über die betreffende Person (z.B. Erziehungsfähigkeit oder Erziehungseignung), deren Verhaltensweisen und Leistungen führt, vermutlich aber nicht zu einer funktionierenden Elternschaft.
In Bezug auf den familienrechtspsychologischen Erkenntnis- und Begutachtungsprozess bleibt darüber hinaus festzuhalten, dass grundsätzlich das ethisch akzeptabelste gutachtliche Vorgehen gegenüber den Einzelpersonen und der Familie dasjenige ist, das trotz aller familiärer Krisen und Konflikte am ehesten wieder zu einer Möglichmachung und Erweiterung von elterlichen Ressourcen führt und damit die kindlichen Belange und Bedürfnisse am besten fördert und entfaltet.
Der Reformentwurf vom Februar 2006 beinhaltet keinen Paradigmenwechsel. Vielmehr führt er die mit dem KindRG eingeleitete Entwicklung fort, die bereits bei vielen Sachverständigen zu einer auf Einvernehmen hinwirkenden und lösungsorientierten Vorgehensweise geführt hat.
Zudem beinhaltet der Auftrag, auf Einigung hinzuwirken, einen ergänzenden Auftrag zu dem eigentlichen Gutachtenauftrag, so dass auch die grundlegenden Bedenken Willutzkis, ob der Gutachter die richtige Institution ist, dem ein solcher Auftrag erteilt werden sollte, nicht stichhaltig erscheint, zumal der vom Gericht bestellte Sachverständige im Rahmen des Auftrages (neben der üblichen familiendiagnostischen Gutachtentätigkeit) eine besonders ausgeprägte sinn- und ordnungsstiftende sowie strukturierende Funktion innehat, die den meist stark beunruhigten und heftig streitenden Beteiligten und Parteien neue Möglichkeiten, Alternativen und Ziele vermitteln kann.