1. Einleitung

Nun ist es endlich durchgesetzt, werden die Einen sagen. Nichts ist besser als eine auf einem Konsens getragene Lösung der Beteiligten, wird bereits heute argumentiert. Das geht nicht, auf Kosten des Justizhaushalts oder der Eltern eine Zwangsvermittlung bzw. Zwangsberatung von einem Gutachter durchführen zu lassen, werden die Andern sagen, wenn die Reformvorstellungen nach § 163 Abs. 2 des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz – FGG-RG) Gesetzeskraft erlangen sollten. Schön, wenn die Vermittlung gelingt, fatal, wenn sie misslingt, meint eine dritte Fraktion.

2. Gesetzestext und amtliche Begründung

§ 163 Abs. 2 FGG-RG lautet: Das Gericht kann in Verfahren, die die Person des Kindes betreffen, anordnen, dass der Sachverständige bei der Erfüllung des Gutachtenauftrages auch auf die Herstellung des Einvernehmens zwischen den Beteiligten hinwirken soll.

Die amtliche Begründung zu § 163 Abs. 2 FGG-RG lautet, dass das Familiengericht in Kindschaftssachen, die die Person des Kindes betreffen, den Sachverständigen auch damit beauftragen kann, darauf hinzuwirken, die Eltern zur Erzielung eines Einvernehmens und zur Wahrung der elterlichen Verantwortung bei der Regelung der elterlichen Sorge zu bewegen.

Bisher hat der Sachverständige die Fragen im Beweisbeschluss zu bearbeiten, die gerichtliche Beweisfrage zu beantworten, welcher Elternteil beispielsweise zur Wahrnehmung der elterlichen Sorge besser geeignet ist oder in welchem Umfang ein Umgang des Kindes mit dem anderen Elternteil zu empfehlen ist.

Laut amtlicher Begründung haben sich derartige Gutachten als nur eingeschränkt verwertbar erwiesen.

Den Familiengerichten soll nun durch die neue Bestimmung die Befugnis eingeräumt werden, den Gutachtenauftrag auf die in der neuen Vorschrift genannten Inhalte zu erstrecken.

Beispielhaft wird für ein derartiges Vorgehen darauf hingewiesen, dass der Sachverständige die Eltern zunächst über die negativen psychologischen Auswirkungen einer Trennung auf alle Familienmitglieder aufklären soll, um sodann zu versuchen, bei den Eltern Verständnis und Feinfühligkeit für die von den Interessen der Erwachsenen abweichenden Bedürfnisse und für die psychische Lage des Kindes zu wecken. Gelingt dies, kann der Sachverständige mit den Eltern ein einvernehmliches Konzept zum künftigen Lebensmittelpunkt des Kindes und zur Gestaltung des Umgangs erarbeiten.

3. Auslegung und Interpretation der neuen Vorschrift im Kontext der amtlichen Begründung

§ 163 Abs. 2 FGG-RG steht im Abschnitt 3 – Verfahren in Kindschaftssachen. Dieser Abschnitt beginnt mit § 151 FGG-RG, in der in acht Ziffern die dem Familiengericht zugewiesenen Verfahren in Kindschaftssachen thematisiert werden:

  1. Elterliche Sorge
  2. Umgangsrecht
  3. Kindesherausgabe
  4. Vormundschaft
  5. Pflegschaft
  6. Genehmigung der freiheitsentziehenden Unterbringung eines Kindes oder Jugendlichen
  7. Anordnung der freiheitsentziehenden Unterbringung
  8. Aufgaben nach dem JGG.

Aus dieser Systematik geht hervor, dass § 163 Abs. 2 FGG-RG offenbar für alle familienrechtliche Fälle gelten soll, also auch bei Kindeswohlgefährdungen nach § 1666 BGB oder Wegnahme des Kindes von der Pflegefamilie nach § 1632 Abs. 4 BGB, obwohl beispielsweise der Wortlaut des Absatzes 2 in der Reformvorschrift eher die Vermutung aufkommen lässt, dass es sich um eine Vorschrift handelt, die eher für Trennungs- und Scheidungsfälle zugeschnitten und vorgesehen ist.[2]

Wenn also § 163 Abs. 2 FGG-RG für alle familiengerichtlichen Fallkonstellationen zutrifft, müssen Klärungen und präzise Vorgaben in Bezug auf die Art und Weise der Interventionen erfolgen, da diejenigen Interventionen, also das Hinwirken auf Einvernehmen der Beteiligten, die sich auf eine Trennungs- und Scheidungsfamilie beziehen oder eine Familie, in der Kindeswohlgefährdungen sichtbar werden, nicht nur unterschiedliche Personenkreise erfasst (z.B. die Arbeit mit der Herkunftsfamilie und Pflegefamilie), sondern angesichts der spezifischen Falllagen – hier Stärkung der Elternschaft und Sicherstellung des Kindeswohls, dort Abwendung einer Kindeswohlgefährdung – auch verschiedenartige Vorgehensweisen erfordern.

Dieses Problem ist offenbar bisher noch nicht erkannt bzw. behandelt worden. Auch Willutzki[3] geht beispielsweise davon aus, dass es sich inhaltlich bei den hier gemeinten Fallkonstellationen des § 163 Abs. 2 FGG-RG letztlich um Fallkonstellationen und gerichtliche Beweisfragen geht, in denen zur Debatte steht, welcher Elternteil zur Wahrnehmung der elterlichen Sorge besser geeignet oder in welchem Umfang ein Umgang des Kindes mit dem anderen Elternteil zu empfehlen sei.

§ 163 Abs. 2 FGG-RG gilt jedoch für alle familiengerichtlichen Fallkonstellationen, so dass auch spezielle Interventionsstrategien entwickelt und eingesetzt werden müssen, die in hinreichender Form noch längst nicht theoretisch konzeptualisiert und in der Praxis erprobt sind, auch wenn bekanntermaßen seit Jahrzehnten psychologische Beratungskonzepte vorliegen, und ebenso eine Paar-, Familientherapie oder Mediation ausformuliert und in der Praxis erprobt sind.

N...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?