Dr. Susanne Offermann-Burckart
Zu den Dauerbrennerthemen im Zusammenhang mit dem Stichwort Interessenkollision gehört die Fallkategorie der sog. einvernehmlichen Scheidung. Viele (wenn nicht die meisten) Rechtsuchenden und nicht wenige Anwälte gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass es doch möglich sein müsse, scheidungswillige Eheleute, die über alle Modalitäten der Hausratsverteilung, des Unterhalts, des Sorgerechts etc. einig sind, gemeinsam zu vertreten.
Ebenso selbstverständlich gehen viele Familienrechts-Anwälte von dem "Comment" aus, dass beide Parteien einer Scheidung (oder Trennung) niemals gemeinsam beraten und vertreten werden dürfen. So führt etwa Groß aus, in Statussachen sei allein der objektive Interessengegensatz maßgebend. Auf das Einvernehmen der Ehegatten komme es nicht an. In der Ehescheidungssache könne der Anwalt daher stets nur einen Ehegatten vertreten. In den Statussachen (Ehescheidung, Eheaufhebung, Kindschaftssachen, Aufhebung der Lebenspartnerschaft) könne es keinen gemeinsamen Anwalt geben. Dabei werde keineswegs ein in der Realität nicht vorhandener Interessengegensatz künstlich fingiert. Es sei auch nicht richtig, dass der Konventionalscheidung die Vorstellung zugrunde liege, das Rechtsverhältnis der Ehe sei wie andere privatrechtliche Gesellschaftsverhältnisse zur Disposition der Mitglieder gestellt. Zur Disposition stünden nach den gesetzlichen Gegebenheiten nicht die Ehescheidung, sondern nur die Scheidungsfolgesachen. In den Trennungs- und Scheidungsfolgesachen wiederum sei – offen oder latent – der Interessengegensatz immer gegeben.
In der Rechtsprechung wird das Problem unterschiedlich behandelt. Das BayObLG führt schon in einer Entscheidung vom 23.1.1981 aus, der Senat sei nicht der Auffassung, dass in Scheidungsverfahren notwendigerweise ein Interessengegensatz zwischen den Ehegatten bestehe. Einziger Scheidungsgrund sei nach der Reform des Ehe- und Familienrechts vom 14.6.1976 das Scheitern der Ehe (§ 1565 BGB). Da sich hierauf beide Ehegatten berufen könnten, bedürfe es zur Scheidung keiner Klage mehr, sondern nur noch des Scheidungsantrags eines oder auch beider Ehegatten. Den Ehegatten stehe es somit nach dem Willen des Gesetzgebers frei, einverständlich die Voraussetzungen einer Scheidung herbeizuführen. In diesem Sinne argumentiert auch das OLG Karlsruhe in einer viel beachteten Entscheidung vom 19.9.2002. Bei den im Fall einer Scheidungssache disponiblen Rechtsgütern werde der Interessenbegriff vom Willen der Parteien gestaltet und richte sich nach deren subjektiven Zielen. Im Falle einer einverständlichen Scheidung träten – bei subjektiver Betrachtung – keine entgegengesetzten Interessen auf. Die Eheleute seien sich einig, dass nach § 630 ZPO i.V.m. §§ 1565, 1566 Abs. 1 BGB vorgegangen werden solle.
Dagegen entschied das LG Hildesheim in einem Urt. v. 12.3.2004, dass der Anwalt, der beide scheidungswilligen Ehegatten berate, auch dann gegen § 43a Abs. 4 BRAO verstoße, wenn die Ehegatten sich in allen Punkten einig seien und widerstreitende Interessen bei der Beratung nicht deutlich würden. Der Anwaltsvertrag sei in einem solchen Fall nichtig, sodass kein Vergütungsanspruch des Anwalts entstehe. Das Gericht führt aus, in einer solchen Situation sei der Rechtsanwalt weder mit einem Mediator noch mit einem Notar zu vergleichen. Es unterscheidet dabei zwischen der strafrechtlichen und der berufsrechtlichen Sichtweise. Die teilweise in strafgerichtlichen Urteilen zum Parteiverrat vertretene Meinung, dass bei einverständlicher Scheidung nicht notwendigerweise ein Interessengegensatz von Ehegatten bestehe, lasse sich nicht auf das Berufsrecht übertragen. Während das "Standesrecht" vom Anwalt verlange, dass er schon den Anschein einer Vertretung widerstreitender Interessen vermeide, stelle § 356 StGB nur das festgestellte Dienen eines Anwalts für mehrere Parteien mit gegensätzlicher Interessenlage unter Strafe. Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Erfüllung der dem Rechtsanwalt obliegenden Aufgabe, der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten zu sein (§ 3 Abs. 1 BRAO), seien ein strenges Berufsethos und ein uneingeschränktes Vertrauen der Bevölkerung in die Zuverlässigkeit und Integrität der Anwaltschaft. Deswegen sei im Berufsrecht eine rein objektive Bewertung der Interessenlage ohne Rücksicht auf die Beurteilung der Parteien angezeigt. Das Einverständnis der Beteiligten mit der Doppelvertretung könne den Interessengegensatz nicht aufheben, da das Verbot der Doppelvertretung grundsätzlich nicht der Verfügungsmacht der Parteien obliege.
Ob einer solchen Unterscheidung zwischen der strafrechtlichen und der berufsrechtlichen Sichtweise gefolgt werden kann, mit der Folge, dass zwar keine Strafe, wohl aber eine Rüge oder sonstige berufsrechtliche Maßnahme in Betracht kommt, ist zweifelhaft. Dogmatische Überlegungen sprechen eher dafür, das Strafrecht dem Berufsrecht als eine Art maiore ad minus vorgehen zu lassen. Hinzu kommt, dass Vertreter einer Auffas...