Dr. Susanne Offermann-Burckart
Aus der Vielgestaltigkeit des Meinungsbildes zur Bestimmung des Interesses und zur Frage der Möglichkeit eines tatbestandsausschließenden Einverständnisses und aus der Tatsache, dass veröffentlichte Entscheidungen zum Thema Interessenkollision rar sind, ergeben sich für den Berater in diesem Bereich erhebliche Schwierigkeiten. Derjenige, der einen wegen der Vertretung widerstreitender Interessen angeklagten oder mit einem berufsrechtlichen Aufsichtsverfahren überzogenen Rechtsanwalt verteidigt, befindet sich hier in einer vergleichsweise komfortablen Situation, steht ihm doch ein bunter Strauß von Argumenten zur Verfügung, um zu begründen, dass entweder schon kein Interessengegensatz oder zumindest das tatbestandsausschließende Einverständnis der Parteien vorlag (oder sich der Angeklagte bzw. Beschwerdegegner zumindest in einem Tatbestands- oder Verbotsirrtum befand). Wer dagegen im Vorfeld einer Mandatsannahme oder im Hinblick auf die Überlegung, ein Mandat niederzulegen, um Beratung darüber gebeten wird, ob eine Interessenkollision vorliegt, sieht sich mit der undankbaren Aufgabe konfrontiert, dem Anfragenden zwar einen interessanten Meinungsstreit ausbreiten zu können, letztlich aber doch zum "sichersten Weg" raten zu müssen.
Wie schwierig dieser Spagat sein kann, zeigt die nun folgende Beleuchtung von Einzelkonstellationen. Ganz grundsätzlich geht es bei allen Problemfällen um die Eingangsfrage, ob überhaupt ein einheitlicher Lebenssachverhalt vorliegt, und – bejahendenfalls – um die Folgefrage, ob subjektive Elemente beachtlich sind, die entweder (schon) den Interessengegensatz, also das Vorliegen widerstreitender Interessen, oder aber die Pflichtwidrigkeit des Vertretens der widerstreitenden Interessen entfallen lassen.
I. Fälle zum Themenbereich "dieselbe Rechtssache"
1. Frühere Beratung/Vertretung des einen und spätere Beratung/Vertretung des anderen (Ehe-)Partners
Das durch die Ehe (oder Lebenspartnerschaft) begründete einheitliche Lebensverhältnis ist der geradezu klassische Fall für dieselbe Rechtssache (in dem unter Ziff. A.II.2. umschriebenen Sinne). Hat deshalb der Rechtsanwalt irgendwann einmal die Ehefrau über unterhaltsrechtliche Fragen beraten, ist er grundsätzlich auch Jahre später gehindert, den Ehemann im Scheidungsverfahren zu vertreten.
2. Perspektivwechsel
An dem Vorliegen eines einheitlichen Lebenssachverhalts ändert auch ein Perspektivwechsel bzw. die "Variation" des Sachvortrags nichts. Hat der Rechtsanwalt die Ehefrau im Sorgerechtsverfahren vertreten und auftragsgemäß den Ehemann sexueller Handlungen am Kind beschuldigt, darf er nicht dem Drängen der inzwischen versöhnten Eheleute nachgeben und die Verteidigung des jetzt von dem Kind verleumdeten Ehemannes in dem Strafverfahren wegen des Sexualdelikts führen. Nach Dahs wäre die Annahme dieses Mandats Parteiverrat, weil der Anwalt die angeblichen Handlungen des Mannes einmal gegen ihn ausgewertet habe, dieselben Handlungen jetzt aber als sein Verteidiger in Abrede stellen solle.
3. Beteiligung Dritter
Dieselbe Rechtssache kann auch vorliegen, wenn Dritte (z.B. Eltern, Schwiegereltern, Geschwister des vertretenen Ehegatten) beteiligt sind. Haben z.B. die Eltern der vertretenen Ehefrau den jetzt in Scheidung lebenden Eheleuten für den Kauf eines Hauses ein Darlehen gewährt, das sie nach Zerrüttung der Ehe anteilig vom Ehemann zurückfordern, sollte der Anwalt der Frau sich hüten, auch die Eltern zu vertreten. Denn durch die Rückzahlungsansprüche reduzieren sich der Zugewinnausgleichsanspruch der Frau und eventuell auch ihr Unterhaltsanspruch.
4. Vertretung eines Ehepartners und eines Dritten
Vertritt der Rechtsanwalt zunächst die Ehefrau im Scheidungsverfahren mit dem Ziel einer schnellen Scheidung, damit sie alsbald ihren Freund heiraten kann, und vertritt er – nachdem die Heiratsabsichten gescheitert sind – später diesen Freund gegen die Frau in einem Rechtsstreit auf Herausgabe von Gegenständen und Zahlungen, die der Freund der Frau im Vertrauen auf eine gemeinsame Zukunft zugewendet hat, dürfte es an einem einheitlichen Lebenssachverhalt fehlen. Entsprechendes gilt, wenn der Rechtsanwalt in einem Scheidungsverfahren die Ehefrau Müller und in einem zweiten zeitgleichen Scheidungsverfahren einen Ehemann Schmitz, mit dem sich Frau Müller neu verheiraten will, vertritt. Auch ist es möglich, in einem früheren Scheidungsverfahren die Ehefrau Müller und in einem späteren Scheidungsverfahren den Ehemann Müller gegen seine neue (zweite) Frau zu vertreten (aber Achtung, falls sich die Ehefrauen 1 und 2 hinsichtlich ihrer Unterhaltsansprüche ins Gehege kommen!).
Allerdings ist in solchen Konstellationen, wie übrigens in allen Fällen, in denen eine Interessenkollision geprüft und verneint wird, weiter zu untersuchen, ob sich möglicherweise aus der Verschwiegenheitsverpflichtung des Rechtsanwalts Probleme erge...