Dr. Susanne Offermann-Burckart
1. Frühere Beratung/Vertretung des einen und spätere Beratung/Vertretung des anderen (Ehe-)Partners
Das durch die Ehe (oder Lebenspartnerschaft) begründete einheitliche Lebensverhältnis ist der geradezu klassische Fall für dieselbe Rechtssache (in dem unter Ziff. A.II.2. umschriebenen Sinne). Hat deshalb der Rechtsanwalt irgendwann einmal die Ehefrau über unterhaltsrechtliche Fragen beraten, ist er grundsätzlich auch Jahre später gehindert, den Ehemann im Scheidungsverfahren zu vertreten.
2. Perspektivwechsel
An dem Vorliegen eines einheitlichen Lebenssachverhalts ändert auch ein Perspektivwechsel bzw. die "Variation" des Sachvortrags nichts. Hat der Rechtsanwalt die Ehefrau im Sorgerechtsverfahren vertreten und auftragsgemäß den Ehemann sexueller Handlungen am Kind beschuldigt, darf er nicht dem Drängen der inzwischen versöhnten Eheleute nachgeben und die Verteidigung des jetzt von dem Kind verleumdeten Ehemannes in dem Strafverfahren wegen des Sexualdelikts führen. Nach Dahs wäre die Annahme dieses Mandats Parteiverrat, weil der Anwalt die angeblichen Handlungen des Mannes einmal gegen ihn ausgewertet habe, dieselben Handlungen jetzt aber als sein Verteidiger in Abrede stellen solle.
3. Beteiligung Dritter
Dieselbe Rechtssache kann auch vorliegen, wenn Dritte (z.B. Eltern, Schwiegereltern, Geschwister des vertretenen Ehegatten) beteiligt sind. Haben z.B. die Eltern der vertretenen Ehefrau den jetzt in Scheidung lebenden Eheleuten für den Kauf eines Hauses ein Darlehen gewährt, das sie nach Zerrüttung der Ehe anteilig vom Ehemann zurückfordern, sollte der Anwalt der Frau sich hüten, auch die Eltern zu vertreten. Denn durch die Rückzahlungsansprüche reduzieren sich der Zugewinnausgleichsanspruch der Frau und eventuell auch ihr Unterhaltsanspruch.
4. Vertretung eines Ehepartners und eines Dritten
Vertritt der Rechtsanwalt zunächst die Ehefrau im Scheidungsverfahren mit dem Ziel einer schnellen Scheidung, damit sie alsbald ihren Freund heiraten kann, und vertritt er – nachdem die Heiratsabsichten gescheitert sind – später diesen Freund gegen die Frau in einem Rechtsstreit auf Herausgabe von Gegenständen und Zahlungen, die der Freund der Frau im Vertrauen auf eine gemeinsame Zukunft zugewendet hat, dürfte es an einem einheitlichen Lebenssachverhalt fehlen. Entsprechendes gilt, wenn der Rechtsanwalt in einem Scheidungsverfahren die Ehefrau Müller und in einem zweiten zeitgleichen Scheidungsverfahren einen Ehemann Schmitz, mit dem sich Frau Müller neu verheiraten will, vertritt. Auch ist es möglich, in einem früheren Scheidungsverfahren die Ehefrau Müller und in einem späteren Scheidungsverfahren den Ehemann Müller gegen seine neue (zweite) Frau zu vertreten (aber Achtung, falls sich die Ehefrauen 1 und 2 hinsichtlich ihrer Unterhaltsansprüche ins Gehege kommen!).
Allerdings ist in solchen Konstellationen, wie übrigens in allen Fällen, in denen eine Interessenkollision geprüft und verneint wird, weiter zu untersuchen, ob sich möglicherweise aus der Verschwiegenheitsverpflichtung des Rechtsanwalts Probleme ergeben können. Weiß in der ersten Fallkonstellation der Anwalt etwa aus dem früheren Mandatsverhältnis etwas über den Verbleib der Gegenstände, die sein neuer Mandant herausbegehrt, müsste er das Mandat ablehnen, um nicht in einen Konflikt zwischen seiner Schweigepflicht gegenüber der Frau und seinen vertraglichen Pflichten gegenüber deren früherem Freund (= jetzigem Mandanten) zu geraten.