Gabriele Ey
In dem "historischen Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland" hat Dieter Schwab 1975 zum Thema "Familie" auf die "moderne lexikalische Definition" im Brockhaus verwiesen. Familie im engsten Sinne ist danach "in der Regel das Elternpaar mit den unselbständigen Kindern als Einheit des Haushalts." Die Familie als eine auf Eheschließung und ehelicher Zeugung beruhende Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft hatte allerdings schon vor einem Vierteljahrhundert mit dem Bedeutungszuwachs des Individuums ihre Stabilität verloren. Die bekannten Rollen- und Generationskonflikte in den 60er-Jahren ließen das Bild der Familie immer undeutlicher werden. Schon damals schrieb Schwab, Familie sei ganz wesentlich auf "Wandlung" bezogen und verwies auf Horst-Eberhard Richter, der 1970 bereits von dem "Patienten" Familie gesprochen hatte.
Diese Entwicklung hat sich in den vergangenen 25 Jahren rasant fortgesetzt. Familie gründet sich nicht mehr durch die Eheschließung. Ein Großteil der Kinder wächst mit einem allein erziehenden Elternteil auf, immer seltener entscheiden sich Eltern wegen der Geburt eines Kindes zur Hochzeit. Der Patient "Ehe" scheint nicht mehr heilbar, seinen nahenden Tod beschreibt Schwab jüngst in der Glosse "2014" (FamRZ 2010, 1958), das alte "Familiengemälde" ist abgehängt.
Familie im Wandel der Zeit. Familie ist heute, so wird aus allen politischen Richtungen formuliert, wo Kinder sind. Der 7. Familienbericht der Bundesregierung 2006 sieht Familie zwischen "Verlässlichkeit und Flexibilität" und hat die klare Botschaft: Familie ist und bleibt das Zukunftsmodell unserer Gesellschaft. Familienpolitik will und muss sich mit neuen Konzepten auseinandersetzen und hat den wandelnden Vorstellungen der Gesellschaft von einem Leben mit Kindern Rechnung zu tragen.
Kinder werden zum Schlüssel für Familie. Im internationalen Privatrecht wird der Begriff der Familie weit ausgelegt. Nach einer neueren Entscheidung des BGH vom 10.11.2010 (XII ZR 37/09) bilden Eltern eines gemeinsamen Kindes, unabhängig davon, ob sie miteinander verheiratet sind, mit dem Kind eine Familie, woraus der Unterhaltsanspruch nach § 1615 l BGB erwachse, mit der Folge, dass das Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 2.10.1973 (HUÜ 73) auch für diesen Anspruch gilt. Das Kind macht die Eltern zur Familie, wie Florian Eichel in seiner Anmerkung zu dieser Entscheidung so treffend formuliert (FamRZ 2011, 99).
Wenn dem aber so ist, wenn Kinder Familie bewirken, dann ist es die Pflicht nicht nur der Familienpolitik, sondern auch der Familienrechtler, Kinder unter ihren besonderen Schutz zu nehmen. Die Forderungen nach einem Recht auf Bildung, einem Recht auf Spielen und dem Grundrechtsschutz der Kinderrechte, wie sie jüngst erhoben werden, sind das eine; das andere ist, dass Bedingungen geschaffen werden müssen, unter denen sich dieser Schutz für die Kinder entfaltet, innerhalb der intakten Ehe, aber vor allem auch bei Fehlen des schützenden Rahmens einer von Vater und Mutter gegründeten und aufrechterhaltenen Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft. Wenn mit dem Scheitern der Ehe Verlässlichkeit zur Enttäuschung wird, muss die Politik jedenfalls den Kindern zur Seite stehen. Sie muss in hinreichender Zahl gute, erreichbare Schul- und Betreuungseinrichtungen schaffen. Wenn der Gesetzgeber den erziehenden Müttern nach der Scheidung die Pflicht auferlegt, für den eigenen Unterhalt zu sorgen, so muss er im Interesse der Kinder dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Kindererziehung geschaffen werden. Solange die Gesellschaft hier noch Nachholbedarf hat, sind wir in der anwaltlichen und richterlichen Praxis verpflichtet, besonders sorgfältig die konkreten Lebensbedingungen des Kindes zu ermitteln und im Einzelfall genau abzuwägen, ob der zur Verfügung gestellte Rahmen, in dem Kinder nach Trennung oder Scheidung ihrer Eltern aufwachsen, wirklich hinreichend Schutz und Förderung bietet.