BGB § 1376 § 1568b; ZPO § 287
Leitsatz
a) Wird die Art und Weise der Bewertung eines Vermögensgegenstandes vom Gesetz nicht geregelt, ist es Aufgabe des Tatrichters, im Einzelfall eine geeignete Bewertungsart sachverhaltsspezifisch auszuwählen und anzuwenden (im Anschluss an Senatsurt. BGHZ 130, 298, 303 und v. 17.7.2002 – XII ZR 218/00, FamRZ 2003, 153, 154).
b) Lässt sich die Werthaltigkeit eines in den Zugewinnausgleich fallenden Anrechts bezogen auf den Stichtag nicht hinreichend konkret bestimmen, hat der Tatrichter im Rahmen der gemäß § 287 ZPO durchzuführenden Schätzung die ihm im Zeitpunkt seiner Entscheidung zugänglichen Erkenntnismöglichkeiten zu nutzen.
c) Im Falle einer späteren Liquidation kann der zum maßgeblichen Stichtag bestehende Wert eines Kommanditanteils an einem geschlossenen Immobilienfonds grundsätzlich unter Berücksichtigung des Veräußerungserlöses bestimmt werden.
d) Mit der Aufhebung der Hausratsverordnung und der Einführung des § 1568b BGB zum 1.9.2009 sind der gerichtlichen Hausratsverteilung nur noch die im gemeinsamen Eigentum der Eheleute stehenden Haushaltsgegenstände unterworfen. Hausrat, der im Alleineigentum eines Ehegatten steht, bleibt dem güterrechtlichen Ausgleich vorbehalten.
§ 1568b BGB ist mangels Übergangsregelung auch in bereits vor dem 1.9.2009 anhängig gemachten Verfahren anwendbar.
BGH, Urt. v. 17.11.2010 – XII ZR 170/09 (OLG Hamm, AG Rheine)
Aus den Gründen
Anmerkung der Redaktion: Die Entscheidung ist abgedruckt in FamRZ 2011, 183.
2 Anmerkung
I. 1. Ein 10-jähriges Kind verunglückt und erleidet schwerste Verletzungen. Nach monatelangem Krankenhausaufenthalt wird es entlassen. Mit erheblichen Folgebehandlungen ist zu rechnen. Seine Eltern klagen gegen den Schädiger ein Schmerzensgeld ein. Zusätzlich machen sie einen bezifferten, abgezinsten Zahlungsanspruch wegen aller denkbaren, späteren Behandlungskosten geltend. Für den Verkehrsrechtler wäre ein derartiges juristisches Szenario undenkbar. Man mag beim Schmerzensgeldanspruch noch einen bezifferten Antrag zulassen. Wegen der völligen Ungewissheit der zukünftigen materiellen Schäden wird ein solcher Zahlungsanspruch insoweit nicht ausgeurteilt werden. In der Praxis weicht man stattdessen auf einen Feststellungsantrag aus. Dieser hemmt die Verjährung. Sofern Unkosten anfallen, können diese dann jeweils als Schadenspositionen geltend gemacht werden.
2. Nach der jüngsten Entscheidung des BGH scheint das Familienrecht mit solchen Ansprüchen ganz anders umzugehen. Der "optimale (?) Betrachter" – ohnehin eine recht eigenwillige Wortschöpfung – soll angeblich in der Lage sein, ein zukünftiges Recht jedenfalls nach § 287 ZPO und unter Einschaltung eines Sachverständigen zu bewerten.
Spätestens die jetzige Entscheidung macht deutlich, dass die "sachverhaltsspezifische Bewertung", welche der BGH seit jeher bevorzugt, eine letztlich rein ergebnisorientierte Judikatur darstellt. Mit den realen Wertverhältnissen hat sie wenig zu tun. Der BGH scheint das mathematische Gesetz, wonach eine einzige Gleichung mit zwei Unbekannten unlösbar ist, aushebeln zu wollen. Der gut gemeinte Lösungsversuch misslingt denn auch gänzlich. Vorliegend waren bei der Entscheidung u.a. folgende Komponenten völlig ungewiss:
- Welche Provisionen würde der Zugewinnausgleichsschuldner – nach zwei Jahrzehnten! – bei seiner Firma erzielen? Der Durchschnitt der letzten drei Jahre der Betriebszugehörigkeit wäre für die Höhe der Provisionszahlung maßgebend.
- Wie hoch ist die Erlebenswahrscheinlichkeit dieses Mitarbeiters? Wie hoch ist ohnehin die Wahrscheinlichkeit, dass er überhaupt noch – wiederum in zwei Jahrzehnten – in dem Unternehmen tätig sein wird? Wenn dies der Fall ist, wird er dann die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen (in der Entscheidung war er mittlerweile in die Position eines Prokuristen aufgerückt)? Gilt zu diesem Zeitpunkt noch der Anspruch für Bezirksstellenleiter oder andere Angestellte oder hat die Rechtslage z.B. durch eine Änderungskündigung eine Modifikation erfahren?
- Die Provisionszahlung hing u.a. vom Verteilsystem in der Lottogesellschaft ab. Insoweit standen gravierende Veränderungen an. Diese mussten vertraglich noch fixiert werden. Welche Vertragsgestaltung soll angenommen werden?
Alle Randdaten sind also gänzlich ungewiss. Wie soll der Anspruch nunmehr selbst durch den "optimalen" Betrachter bewertet werden? Weder zum Stichtag noch heute kann man die Entwicklung der Parameter vorhersagen. Das Ergebnis kann von Null bis zum denkbaren Höchstbetrag (allerdings wegen der sofortigen Zahlung abgezinst) schwanken. Zusätzlich wäre die in Zukunft entstehende Steuerlast als latente Verbindlichkeit zu beachten. Deren Höhe ist i.Ü. ebenso ungewiss. Der Hinweis auf den "sachverständig beratenen Tatrichter" wird bei Letzterem demnach allenfalls ein verständnisloses Kopfschütteln verursachen. Dieses offenbar als Allheilmittel bevorzugte Instrument der Rechtsfindung war ja bereits in der Entscheidung des BGH zur Bewertung eines Nießbrauchsrechtes dem Tatrichter empfohlen worden. Diese ...