Wie lässt sich eine gerechte Austarierung zwischen Eigenverantwortung und Solidarität erreichen? Möglicherweise unschwer dadurch, dass der Blick auf das Gegengewicht der Eigenverantwortung, nämlich das Vertrauen, gerichtet wird. Eigenverantwortung hat und braucht eine Vertrauensbasis, die sich in der gelebten Ehe entwickelt. Die Frage stellt sich also, inwieweit die eingangs thematisierte Gestaltung in der Ehe im Sinne einer Rück- und Fortwirkung den Vertrauensschutz nach der Ehe generiert.
Nähern wir uns dem komplexen Begriff Vertrauen zunächst ohne fachspezifische Differenzierung. Vertrauen resultiert aus der bisherigen Erfahrung und der Hoffnung auf das Gute im Menschen. Für den Soziologen Luhmann ist Vertrauen ein Mechanismus zur effektiveren Bewältigung der vielen Anforderungen, die ständig von der Umwelt an das Individuum gestellt werden. Vertrauen reguliert in diesem Sinn soziale Wahrnehmung, reduziert die Komplexität der Umwelt auf ein handhabbares Maß und stellt eine Art Vorleistung dar, die Interaktion erst ermöglicht und die eigene Unsicherheit reduziert. Der im Vertrauen Handelnde bietet dem anderen eine gemeinsame Zukunft an und es entsteht so eine Vernetzung, die Sicherheit gibt. Vertrauen kommt demnach in sozialen Beziehungen ein zentraler Stellenwert zu, weil sich nur auf dieser gemeinsamen Grundlage Gemeinschaft realisieren kann. Ihm kommt die Funktion zu, soziale Strukturen zu stabilisieren und Beziehungsunsicherheiten in Verhältnissicherheiten zu wandeln. Vertrauen erfüllt also mit der Reduktion von Komplexität die Funktion der Sicherung stabiler sozialer Ordnung, indem so Vorhersehbarkeit, Verantwortlichkeit und Zurechenbarkeit in sozialen Beziehungen möglich werden.
Vertrauen ist – in der Annahme, dass die Entwicklungen einen positiven oder erwarteten Verlauf nehmen – also eine durchaus "riskante Vorleistung". Indem ich vertraue, gehe ich ein Risiko ein, und zwar in der Erwartung, dass der andere mein Vertrauen nicht enttäuscht. Zugleich aber bietet dieses Vertrauen die – letztlich einzige – Möglichkeit, in Beziehungen mit einem Risiko oder einer Unsicherheit umzugehen. Es ermöglicht ein sicheres Entscheiden und Handeln in Situationen, in denen nicht alles bis zum Letzten durchkalkuliert werden kann. Und auf diese Weise wird Vertrauen zur Voraussetzung eines moralisch motivierten Handelns und ist insofern für eine Gemeinschaft geradezu unabdingbar.
Wie steht es mit dem Vertrauen im Recht? Eine ausschließlich auf moralischen Kriterien beruhende Vertrauensbeziehung endet in aller Regel, wenn das Recht wieder ins Spiel kommt. Gleichwohl verteidigt unsere Rechtsordnung das Vertrauensprinzip grundsätzlich als Prinzip "richtigen Rechts". Sie geht hierbei davon aus, dass eine der Grundbedingungen des friedlichen Zusammenlebens darin besteht, jemandem vertrauen zu können. Insofern betrachtet sie den Anspruch auf Vertrauensschutz auch nicht als einen lediglich moralischen Anspruch, sondern als einen Rechtsanspruch. In diesem Sinn schreibt der Gesetzgeber vor, dass ein in zurechenbarer Weise erwecktes Vertrauen eingelöst werden muss und legt mit Blick auf den Gedanken "bona fide" etwa im Vertragsrecht fest, dass ein Vertrag nicht nur getreu dem Buchstaben, sondern so zu erfüllen ist, wie es Sinn und Zweck des Vertrags verlangen und es der Vertragspartner gemäß der gegebenen Umstände auch erwarten darf.
Bezogen auf den nachehelichen Unterhalt bedeutet dies, dass das Lebenszeitprinzip der Ehe als ein objektiver Vertrauenstatbestand gewertet wird. Neben dem Ausgleich ehebedingter Nachteile sind nach unserem Unterhaltsrecht – auch nach der Reform – die Aspekte der Kompensation und der "Solidarität" zu berücksichtigen, denn mit der Scheidung ist die Verantwortung der ehemaligen Lebenspartner füreinander nicht schlechthin erloschen. Vielmehr ist Rücksicht darauf zu nehmen, inwieweit die beiden Partner mit der Eheschließung ihre Lebensschicksale im Vertrauen auf "Solidarität" aneinandergebunden haben. Misslingt der gemeinsame Lebensplan, so ist das aus § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB hergeleitete Vertrauensprinzip des Füreinander-Einstehens nicht obsolet: Die nachwirkende Solidarität ist oft gerade in dieser Situation gefordert.