Gekürzte und aktualisierte Fassung des auf dem Forum Familienrecht am 20.9.2010 in Berlin gehaltenen Referats. Die Vortragsform wurde weitgehend beibehalten, das Manuskript um Fußnoten, auch mit weiterführenden Hinweisen, ergänzt.
Einführung
Geht es um nachehelichen Unterhalt, werden immer wieder die gleichen Fragen gestellt: Warum müssen Geschiedene überhaupt noch füreinander einstehen, nachdem ihre Gemeinschaft beendet ist? Was bedeutet eine Scheidung, wenn sich die Ehe als Wirtschaftsgemeinschaft doch fortsetzt? Kann man andererseits der Institution der Ehe vertrauen, wenn sie einen der Partner im entscheidenden Moment auf Eigenverantwortung und Selbstversorgung verweist? Die gesetzlichen Vorgaben sind vage, Rechtsprechung und Literatur daher um Fundierung des nachehelichen Unterhalts bemüht. Zu den Begründungsmustern gehören der Nachteilsausgleich, der Vertrauensschutz, die Teilhabe, das Prinzip des gegenseitigen Achtens, die Selbstbestimmung und Selbstfindung sowie die nacheheliche Solidarität. Zur Legitimation all dieser Ansätze ist letztlich oft die Rechtsethik gefragt, weil es den durch eine Unterhaltspflicht tangierten Freiheitseingriff zu rechtfertigen und, gerade für den Betroffenen, überzeugend zu begründen gilt. Wer nun nach einer Rechtfertigung des nachehelichen Unterhalts in der Rechtsethik sucht, wird nicht nur auf das geltende Recht, sondern auch auf die tatsächlich bestehenden Verhältnisse zurückverwiesen. Wandeln sich diese, kann auch rechtsethisch eine Änderung des Rechts geboten sein. Diese Koppelung bedarf allerdings einer besonderen Reflexion. Sie soll – mit Blick auf die unterhaltsrechtliche Praxis – unter den Aspekten von Eigenverantwortung und Vertrauen im Folgenden skizziert werden.
I. Verantwortung im unterhaltsrechtlichen Kontext
Das Unterhaltsrecht regelt einen wichtigen Aspekt familiärer Verantwortung. Während in der intakten Ehe die Ehepartner in der konkreten Verteilung aller finanziellen Ressourcen frei und ungebunden sind, bestimmt das Unterhaltsrecht ab dem Zeitpunkt des Getrenntlebens und für die Zeit nach der Scheidung den Umfang des finanziellen Ausgleichs unter Ehegatten. Die mit der Eheschließung – grundsätzlich lebenslang – verbindlich übernommenen gegenseitigen Einstandspflichten setzen sich in gewissem Umfang nach der Scheidung fort. Welches Maß an "Solidarität" hierbei jeweils erwartet oder auch rechtlich eingefordert werden kann, ist eine in der Politik wie in der Gesellschaft eminent umstrittene Frage.
Ausgangspunkt der Überlegungen des Gesetzgebers zur Reform des Unterhaltsrechts war, dass das Unterhaltsrecht kein bestimmtes Ehebild vorgibt. Die Ehepartner sind in der Ausgestaltung der Ehe und der Wahl der Rollenverteilung frei. Aus Art. 6 GG, der den besonderen Schutz von Ehe und Familie garantiert, ergibt sich nach der Rechtsprechung des BVerfG zwar eine fortwirkende nacheheliche Solidarität, die ihren Ausdruck in den Unterhaltstatbeständen des Bürgerlichen Gesetzbuchs findet; das Grundgesetz gewährt aber keineswegs eine uneingeschränkte Solidarität, sondern belässt dem Gesetzgeber insoweit einen Gestaltungsspielraum, innerhalb dessen er gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung tragen kann und gegebenenfalls auch muss. Mit dem UÄndG vom 21. Dezember 2007 hat der Gesetzgeber auf die gewandelten Familien- und Beziehungsstrukturen reagiert. Sein Ziel war es nicht nur vor dem Hintergrund der veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, sondern auch im Hinblick auf die Rechtsentwicklung in den europäischen Nachbarstaaten zu versuchen, den notwendigen Ausgleich für ehebedingte Nachteile und den Grundsatz der Eigenverantwortung nach der Scheidung in ein zeitgemäßes, dem Einzelfall gerecht werdendes Verhältnis zu setzen.
Damit stellt sich die Frage, ob die jüngste Reform des Unterhaltsrechts dazu beiträgt, dieses Ziel aus rechtsethischer Sicht zufrieden stellend zu erreichen, und welche Voraussetzungen hierzu im Spannungsfeld von Eigenverantwortung und "Solidarität" erforderlich sind. Das lässt sich besonders an den Regelungen zum Ehegattenunterhalt verifizieren. Die kinderbezogene Versorgung und damit zusammenhängende Fragen lasse ich im Folgenden ausgeklammert, denn dieses Thema hat besondere Aspekte, die einer eigenen Betrachtung bedürften.
Dass der Gesetzgeber die bestehenden nachehelichen Unterhaltstatbestände der §§ 1571 ff. BGB im Rahmen der Reform nicht eingeschränkt hat, suggeriert vordergründig, dass der nacheheliche Unterhalt nach wie vor nahezu das gesamte Lebensrisiko des Ehepartners abgedeckt, der bis zur Scheidung seinen Unterhalt nicht aus eigener Kraft erwirtschaftet hat. Indem aber das reformierte Unterhaltsrecht die Gewährung von nachehelichen Unterhaltsansprüche unter weiterer Einschränkung der Lebensstandardgarantie deutlich stärker als zuvor auf die Kompensation ehebedingter Nachteile zurückführt, erlangen diese Ansprüche einen neuen Stellenwert. Der Topos der nachehelichen Solidarität fungiert dabei in besonderer Weise als Einschränkung der Obliegenheit zur wirtschaftlichen E...