Die Erfahrungen, die seit 1998 mit der Beibehaltung gemeinsamer elterlicher Sorge bei getrennten und geschiedenen Eheleuten gemacht worden sind, sollten unbedingt berücksichtigt werden, wenn es um die jetzt erforderliche Neuregelung der gemeinsamen elterlichen Sorge bei nicht miteinander verheirateten Eltern geht.
1. Was soll z.B. gelten, wenn die getrennt lebenden, nichtehelichen Eltern bei gemeinsamer elterlicher Sorge grundlegend unterschiedliche Auffassungen über die Wahl des Kindergartens oder der Schule haben? Der Vater ist für einen anthroposophischen Kindergarten, die Mutter für den nächstgelegenen städtischen Kindergarten – die Mutter bevorzugt eine Montessori Schule, der Vater will keine elitäre Erziehung des Kindes. Die Mutter, bei der das Kind lebt, findet Jahre nach der Geburt eine Arbeitsmöglichkeit in einer weit entfernt liegenden Region, wohin sie mit dem Kind umziehen möchte, um ihre eigene wirtschaftliche Lage zu verbessern. Der Vater will dies nicht, weil er seinen Umgang auf diese Weise erschwert sieht. Die Mutter hat das Empfinden, das Kind müsse unbedingt kindertherapeutisch behandelt werden, weil es im Kindergarten und in der Schule auffällig ist. Der Vater hält von derartigen Maßnahmen im Kindesalter überhaupt nichts und gibt sein Einverständnis nicht. Dies sind die wirklichen Probleme, die sich im Alltag stellen und die dadurch verstärkt werden, dass die Eltern eben nicht zusammen leben, ja sich oft im Konflikt getrennt haben.
2. Aus meiner Sicht bleibt deshalb überhaupt nur die Lösung, dass das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils entscheidet, ob die gemeinsame elterliche Sorge dem Wohl des Kindes dient oder nicht. Das Wohl des Kindes muss alleiniger Maßstab sein, dem Kind ist nicht gedient, wenn der abwesende Elternteil zwar eine Rechtsposition hat, die aber im täglichen Leben des Kindes zu teils unüberwindlichen Schwierigkeiten führt. Auf der anderen Seite muss selbstverständlich der Vater auch die Möglichkeit haben, die Alleinsorge für sich zu beantragen und zu erhalten, wenn dies für das Wohl des Kindes erforderlich ist. Beide Fälle hat das Bundesverfassungsgericht vorläufig dahin geregelt, dass dem Vater der Zugang zu den Familiengerichten eröffnet wird.
Wir sind also mitten im brodelnden Fluss der gesetzlichen Neuregelung.
Stets gilt auch hier: Das Recht kann Rahmenbedingungen schaffen, die es den Menschen ermöglichen, das von ihnen Gewünschte und Gewollte auch zu verwirklichen. Ob von diesen Rahmenbedingungen Gebrauch gemacht wird, ob also in der Praxis die Väter ihre Verantwortung wirklich wahrnehmen, steht auf einem anderen Blatt und ist – um mit Fontane zu sprechen – ein weites Feld.