Vortrag der Verfasserin auf der Herbsttagung der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht im Deutschen Anwaltverein vom 25.–27.11.2010 in Hannover
Einleitung
Am 21.7.2010 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das Elternrecht des Vaters eines nichtehelichen Kindes aus Art. 6 Abs. 2 GG dadurch verletzt ist, dass er nach geltendem Recht ohne Zustimmung der Mutter generell von der Sorgetragung für sein Kind ausgeschlossen ist und dass er gerichtlich nicht überprüfen lassen kann, ob es aus Gründen des Kindeswohls angezeigt ist, ihm zusammen mit der Mutter die Sorge für sein Kind einzuräumen oder ihm sogar anstelle der Mutter die Alleinsorge für sein Kind zu übertragen.
Wenige Monate vorher, am 3.12.2009, hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem deutschen Fall ähnlich entschieden: Der Gerichtshof gelangte im Fall Zaunegger zu dem Ergebnis, dass deutsche Väter außerehelich geborener Kinder beim Zugang zur gemeinsamen elterlichen Sorge diskriminiert würden. In der entsprechenden deutschen gesetzlichen Regelung liege eine Verletzung der Art. 14 und 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Es besteht also Handlungsbedarf und dementsprechend ist die Gesetzgebungsmaschine angesprungen – innerhalb und außerhalb des Deutschen Bundestages wird heftig diskutiert, wie eine Lösung für nichteheliche Väter aussehen muss, die mit der deutschen Verfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention übereinstimmt.
I. Geschichtlicher Rückblick
Kinder, deren Eltern nicht miteinander verheiratet sind oder waren, wurden bis vor kurzem nichteheliche Kinder genannt, bei Inkrafttreten des Bonner Grundgesetzes im Jahre 1949 hießen sie uneheliche Kinder.
Für diese Kinder waren die Eltern zu keiner Zeit in gleicher Weise rechtlich zuständig:
1. Bei Inkrafttreten des ersten allgemeinen deutschen Zivilrechts am 1.1.1900, des Bürgerlichen Gesetzbuchs, welches die Partikularrechte aus der Zeit vor der deutschen Reichsgründung, also vor 1871, ablöste, nahm der Vater eines unehelichen Kindes an dessen Erziehung, an Fürsorge und Versorgung in keiner Weise teil. Nach dem Gesetz galt er als mit seinem Kind nicht verwandt. Stand er als Vater fest – was mangels zuverlässiger wissenschaftlicher Untersuchungen nicht einfach war –, so schuldete er dem Kind Unterhalt, bis das Kind 16 Jahre alt war. Die Mutter erhielt keinerlei Unterstützung von dem Vater, insbesondere keinen Unterhalt, sieht man einmal davon ab, dass der Vater der Mutter die Entbindungskosten und einen Unterhalt für die ersten sechs Wochen nach der Entbindung schuldete. Wir haben vor uns das klassische Modell des bloßen Zahlvaters, des Erzeugers, der sein Kind häufig überhaupt nicht kannte, es oft auch gar nicht sehen wollte, im Übrigen hatte er auch kein Besuchsrecht, konnte sein Kind also, selbst wenn er zu dem Kind Kontakt herstellen wollte, gegen den Widerstand der Mutter nicht sehen, nicht kennen lernen.
Diese uns heute geradezu unmenschlich vorkommende Regelung hatte viele Gründe. Ihr lag die Annahme zugrunde, dass ein junger Mann aus gutem Hause sich mit einem Dienstmädchen eingelassen hatte, dessen uneheliches Balg an der Vaterfamilie auf keinen Fall partizipieren sollte, weder im persönlichen Bereich, noch vor allem im Bereich des Vermögens. Das Kind wurde deshalb rechtlich allein der Mutter zugeordnet, es erhielt deren Familiennamen, die Mutter und ihr soziales Milieu entschieden über das Aufwachsen und Fortkommen des Kindes, das Kind hatte weder zu Lebzeiten des Vaters noch nach dessen Tod Anteil an dessen Vermögen. War also die Mutter allein zuständig, so stand ihr doch nicht die elterliche Gewalt über ihr eigenes Kind zu. Sie hatte lediglich das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen, gesetzliche Vertreterin ihres Kindes war sie nicht, das Kind brauchte einen Vormund.
2. Dieser gesellschaftliche Grundkonsens überdauerte, aus unserer heutigen Sicht erstaunlicherweise, nicht nur den Ersten, sondern auch den Zweiten Weltkrieg und vier politische Systeme in Deutschland, also das Kaiserreich, die Weimarer Republik, das Hitlerregime und die Bonner Republik, also den Beginn der Bundesrepublik, ohne dass sich Entscheidendes änderte.
Erst im Jahre 1970, also gerade einmal vor 40 Jahren, schaffte der Deutsche Bundestag erste zaghafte Schritte im Verhältnis zwischen unehelichem Vater und unehelichem Kind, um diese einander rechtlich näher zu bringen.
Dies tat der Deutsche Bundestag freilich nicht freiwillig und auch nicht aus Überzeugung, sondern gezwungenermaßen: Stand doch in dem Bonner Grundgesetzt von 1949 in Art. 6 Abs. 5 der Befehl des Verfassungsgesetzgebers, dass den unehelichen Kindern durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen seien wie den ehelichen Kindern. Diesen Verfassungsauftrag auszuführen, bemühte sich der Deutsche Bundestag seit 1956, jedoch ohne durchschlagenden Erfolg. Streit...