Häufig kommt es zu Zuwendungen am Erbrecht vorbei, z.B. durch den Abschluss von Lebensversicherungen, die dem jeweils Bezugsberechtigten nicht im Wege der Universal-, sondern im Wege der Singularsukzession zugewendet werden. Solche Zuwendungen fallen nicht in den Nachlass, sodass sie für die Berechnung des ordentlichen Pflichtteils nach §§ 2303, 2311 BGB keine Rolle spielen. Sie lösen aber Pflichtteilsergänzungsansprüche aus. Hier war spätestens seit der Entscheidung des Insolvenzsenates aus dem Jahre 2003 fraglich, ob der Pflichtteilsergänzungsanspruch auf Grundlage der ausgezahlten Todesfallleistung zu berechnen ist oder nach den gezahlten Prämien und wie sich dies auf die neue Abschmelzungsregelung auswirkt.
Der BGH hat einen ganz eigenen Weg gewählt und stellt in erster Linie auf den Rückkaufswert ab, wobei im Einzelfall ein objektiv belebter höherer Verkaufswert heranzuziehen sein kann und die Versicherungsleistung die Obergrenze bildet. Dem liegt die Überlegung zugrunde, was eigentlich geschenkt, was der Erblasser weggegeben hat, mithin in Bezug auf was der Schenker ent- und der Beschenkte bereichert ist. Bei einer widerruflichen Bezugsberechtigung schenkt der Erblasser dem Bezugsberechtigten nicht die Prämien und auch nicht die Versicherungsleistung i.S.d. § 2325 BGB, sondern den Nichtwiderruf der Bezugsberechtigung zu eigenen Gunsten. Er unterlässt es quasi eine logische Sekunde vor dem Tod zu widerrufen und damit den für ihn realisierbaren Wert aus der Verwertung seiner Rechte aus dem Versicherungsvertrag seinem eigenen Vermögen und damit letztlich dem Nachlass zuzuführen. Der Anspruch auf die Versicherungsleistung hingegen stand dem Erblasser nie zu und kann daher weder seinem Vermögen noch dem Nachlass zugerechnet werden. Die fortlaufend gezahlten Prämien wiederum sind nicht mehr im Erblasservermögen vorhanden. Hiermit hat er sich vielmehr die Rechte aus dem Versicherungsvertrag erkauft.
Die Rechtslage sei – so der BGH – auch nicht mit der im Insolvenzrecht vergleichbar. Denn über § 134 InsO wird die unentgeltliche Leistung real rückgängig gemacht (§ 143 InsO), während bei der Pflichtteilsergänzung der Nachlasswert nur fiktiv um den Wert des Geschenkes erhöht und sodann primär nicht der Beschenkte, sondern der Erbe belastet wird. Ferner hätten die Insolvenzgläubiger eine konkrete Forderung gegen den Schuldner, deren Ausfall durch ein möglichst großes Vermögen des Schuldners als Haftungsmasse mit Hilfe der Insolvenzanfechtung gering gehalten werden soll.
Da die Schenkung nach dem BGH durch den Nichtwiderruf eine juristische Sekunde vor dem Tod des Erblassers erfolgt, ist für eine Abschmelzung kein Raum. Diesen wichtigen Fall erfasst mithin die neu eingeführte Pro-Rata-Regelung nicht, weshalb der Rückkaufswert für die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruches vollständig anzusetzen ist. Die Entscheidung ist viel kommentiert und auch kritisiert worden. Die Praxis wird sich an ihr jedenfalls zu orientieren haben, weshalb hier nicht nur aus Platzgründen nicht weiter darauf eingegangen werden soll. Mit Spannung erwartet wird eine Antwort auf die Frage, was mit unwiderruflichen Lebensversicherungen wird.