1. Aufgabe der Doppelberechtigungstheorie
Der Bundesgerichtshof hatte bisher für einen Pflichtteilsergänzungsanspruch gefordert, dass der Anspruchsteller nicht nur im Zeitpunkt der Geltendmachung bzw. Entstehung des Pflichtteilsrechts Pflichtteilsberechtigter war, sondern auch im Zeitpunkt der Schenkung. Hiervon hat sich der BGH nunmehr abgewendet.
Als Begründung führt der BGH an, dem Wortlaut lasse sich das Erfordernis einer Pflichtteilsberechtigung auch im Zeitpunkt der Schenkung nicht entnehmen. Die Entstehungsgeschichte spreche eher gegen die Berücksichtigung des Schenkungszeitpunktes. Zwar hätten Abkömmlinge, die erst nach der Schenkung geboren wurden, nie andere Vermögensverhältnisse beim Erblasser gekannt und auch könne kaum eine Benachteiligungsabsicht zu deren Lasten beim Erblasser Motiv gewesen sein. Solche subjektiven Elemente wie Kenntnis oder Benachteiligungsabsicht sind dem § 2325 BGB anders als bei § 2287 BGB aber auch fremd. Vielmehr spreche auch die Ratio, nämlich, dass die Pflichtteilsberechtigten keine Verkürzung ihrer Nachlassteilhabe hinnehmen müssten, dafür, die im Todeszeitpunkt vorhandenen Pflichtteilsberechtigten gleich zu behandeln, egal, ob sie bereits zum Zeitpunkt der Schenkung Pflichtteilsberechtigte waren oder nicht; dies schon vor dem Hintergrund des Art. 3 GG.
Freilich lag der neueren Entscheidung in einem möglicherweise in tatsächlicher Hinsicht wesentlichen Punkt auch ein anderer Sachverhalt zugrunde als den vorangegangen: Während in den beiden Entscheidungen aus 1972 und 1997 jeweils die neue Ehefrau Pflichtteilsergänzungsansprüche wegen Schenkungen aus der Zeit vor ihrer Eheschließung mit dem Erblasser geltend machten, machen hier Abkömmlinge Pflichtteilsergänzungsansprüche wegen Schenkungen aus einer Zeit vor ihrer Geburt geltend. Die Doppelberechtigungstheorie scheint aber wohl – betrachtet man die Begründung des BGH – endgültig ad acta gelegt zu sein. Bleibt die mit Spannung zu erwartende Frage, ob später eingeheiratete Ehefrauen nunmehr ebenfalls Pflichtteilsergänzung für der Ehe vorausgegangene Schenkungen erwarten dürfen oder ob hier mit einer teleologischen Reduktion oder Ähnlichem differenziert werden wird.
2. Berechnungsgrundlage für die Pflichtteilsergänzung bei Lebensversicherungen mit widerruflichem Bezugsrecht
Häufig kommt es zu Zuwendungen am Erbrecht vorbei, z.B. durch den Abschluss von Lebensversicherungen, die dem jeweils Bezugsberechtigten nicht im Wege der Universal-, sondern im Wege der Singularsukzession zugewendet werden. Solche Zuwendungen fallen nicht in den Nachlass, sodass sie für die Berechnung des ordentlichen Pflichtteils nach §§ 2303, 2311 BGB keine Rolle spielen. Sie lösen aber Pflichtteilsergänzungsansprüche aus. Hier war spätestens seit der Entscheidung des Insolvenzsenates aus dem Jahre 2003 fraglich, ob der Pflichtteilsergänzungsanspruch auf Grundlage der ausgezahlten Todesfallleistung zu berechnen ist oder nach den gezahlten Prämien und wie sich dies auf die neue Abschmelzungsregelung auswirkt.
Der BGH hat einen ganz eigenen Weg gewählt und stellt in erster Linie auf den Rückkaufswert ab, wobei im Einzelfall ein objektiv belebter höherer Verkaufswert heranzuziehen sein kann und die Versicherungsleistung die Obergrenze bildet. Dem liegt die Überlegung zugrunde, was eigentlich geschenkt, was der Erblasser weggegeben hat, mithin in Bezug auf was der Schenker ent- und der Beschenkte bereichert ist. Bei einer widerruflichen Bezugsberechtigung schenkt der Erblasser dem Bezugsberechtigten nicht die Prämien und auch nicht die Versicherungsleistung i.S.d. § 2325 BGB, sondern den Nichtwiderruf der Bezugsberechtigung zu eigenen Gunsten. Er unterlässt es quasi eine logische Sekunde vor dem Tod zu widerrufen und damit den für ihn realisierbaren Wert aus der Verwertung seiner Rechte aus dem Versicherungsvertrag seinem eigenen Vermögen und damit letztlich dem Nachlass zuzuführen. Der Anspruch auf die Versicherungsleistung hingegen stand dem Erblasser nie zu und kann daher weder seinem Vermögen noch dem Nachlass zugerechnet werden. Die fortlaufend gezahlten Prämien wiederum sind nicht mehr im Erblasservermögen vorhanden. Hiermit hat er sich vielmehr die Rechte aus dem Versicherungsvertrag erkauft.
Die Rechtslage sei – so der BGH – auch nicht ...